Gedanken zum neuen Jahr von Erich Kästner
Gedanken zum neuen Jahr, fast 100 Jahre alt und in jedem Jahr aktueller, aufgeschrieben von Erich Kästner, (1899 – 1974), deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter:
„Abwarten? Tun!
Rundheraus: das alte Jahr war keine ausgesprochene Postkartenschönheit, beileibe nicht.
Und das neue? Wir wollen es abwarten.
Wollen wir`s abwarten? Nein, wir wollen es nicht abwarten!
Wir wollen nicht auf gut Glück und auf gut Wetter warten, nicht auf den Zufall und den Himmel harren, nicht auf die politische Konstellation und die historische Entwicklung hoffen, nicht auf die Weisheit der Regierungen, die Intelligenz der Parteivorstände und die Unfehlbarkeit aller übrigen Büros. Wenn Millionen Menschen nicht nur neben – sondern miteinander leben wollen, kommt es auf das Verhalten der Millionen, kommt es auf jede und jeden an, nicht auf die Instanzen.
Wenn Unrecht geschieht, wenn Not herrscht, wenn Dummheit waltet, wenn Hass gesät wird, wenn Muckertum sich breit macht, wenn Hilfe verweigert wird – stets ist jeder Einzelne zur Abhilfe mit aufgerufen, nicht nur die jeweils „zuständige“ Stelle. Jeder ist mitverantwortlich für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt. Und jeder von uns und euch muss es spüren, wann die Mitverantwortung neben ihn tritt und schweigend wartet. Wartet, dass er handele, helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je nachdem.“
Nachtrag
Diese Worte sind nicht zu kommentieren, sie machen sprachlos in ihrer punktgenauen Aktualität. Aber lesen sollten wir sie immer wieder, täglich, bis sie in uns ihren Platz gefunden haben und uns zu dem befähigen, was Erich Kästner uns sagen wollte – vor fast 100 Jahren!