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Burg Stargard und Burg Klempenow – kleine Reise ins Mittelalter

Blogger 3. Mai 2023MV, Fundstücke, Reiseberichte

Schnell mal weg ins Stargarder Land

Sehnsucht nach Weite und Ruhe? Und wieder mal nur paar Tage Zeit für eine kleine Auszeit? Einfach schnell mal weg und, wenn möglich, ohne lange Autotouren? In gut zwei Stunden mitten ins Mittelalter? Alles das geht in MV… Zum Beispiel eine kleine Auszeit im Stargarder Land.

Auf der Suche nach „ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeiten“ fand ich kürzlich ein überraschend interessantes Angebot für 4 Übernachtungen auf der „Burg Stargard“. Selbstverständlich schon oft diesen Namen gehört, aber noch nie die Kenntnis bekommen, dort auch wohnen zu können – sogar, ganz nach Wunsch, in „Kemenaten“ oder „Gemächern“.

Also, nicht lange gezögert, sogar flott den Chef des Hauses in der Entscheidungsfindung übergangen und gebucht. Die Aussicht auf erlebbare und bewohnbare Geschichte hat mich sofort fasziniert. Und keine Minute enttäuscht.

Frühlingsmarkt auf Burg Klempenow

Wer gemütlich die B96 nutzt, passiert auf der Strecke zwischen Jarmen und Altentreptow einen „Ort für Kunst, Kultur und Begegnung“, nämlich die Burg Klempenow. Unbedingt einen Stopp einlegen, das Gelände erkunden, Turm besichtigen, im kleinen Laden stöbern, selbstgebackenen Kuchen genießen.

Denn hier, an einer idyllischen Bucht der Tollense, begegnet dem Reisenden die landesherrliche Geschichte der pommerschen Herzöge in Reinkultur. 1231 erstmals erwähnt ist dieses Denkmal seit 1991Treffpunkt für Künstler, Händler und tauschfreudige Kleingärtner. Leider war es einfach zu kalt, um an jedem der üppig bestückten Verkaufsstände verweilen zu können – aber, ein gutes, handgemachtes Roggenbrot, das musste mit, und begleitete uns die nächsten Tage urig mittelalterlich.

Burg Stargard

Auf zur Burg Stargard. Der gleichnamige, kleine Ort ist völlig unspektakulär, die sogenannte Altstadt auch. Aber die Kopfsteinpflasterstraße hoch zur Burg macht bereits Vergnügen, oben angekommen, der Blick auf die Burganlage, auch.

Alles, was man braucht, um einen Film um 1600 (da gab es den Torturm bereits seit 300 Jahren) zu drehen, ist da: unterer und oberer Torturm, Wippbrücke, 6 m tiefer Quergraben, Burgkapelle, Bergfried, Schräges Haus und das Gefängnis, natürlich, und wie gut, denn dies ist jetzt das Burghotel.

Freundlich empfangen, ohne Komplikationen eingewiesen, Gemach bezogen, Ruhe hier. Der Blick aus den Fenstern (ohne Gitter) geht weit über das pommersche Land, fern nur Pferde. Frühstück nach Wunsch in drei zeitlichen Etappen und ohne Buffet, denn jeder Tisch bekam eine Etagere mit Köstlichkeiten, die Auge, Herz und Bauch verwöhnten. so weit, so bestens. Und nun?

Burgrundgang

Mit dem Erkunden des gesamten Geländes hat man tatsächlich zwei Tage zu tun. Eingangs ist ein sehr gutes, informatives Museum sehr zu empfehlen, denn die Ausstellungen machen klar, warum man gerade hier und wieso überhaupt eine Burg errichtete – kurz, wer wieder abfährt weiß, wo er gewesen ist.

Es gibt einen großen Kräutergarten, Keller, Kneipchen, Treppen und Ruinen und reichlich Informationstafeln zu entdecken.

Widder trifft Widder

Mein Mann ist schon länger der festen Überzeugung, dass mein Eigensinn im dringenden Zusammenhang mit meinem Sternbild zu betrachten sei. Und ausgerechnet dieser Burgrundgang gab ihm Recht, so sehr, dass er sich laut lachend auf die Schenkel klatschte: zum Thema „Erstürmung der Burg“ standen wir plötzlich vor einem „Widder“. Im Grunde nichts weiter, als ein ordentlicher, handfester Rammbock, ein Eichenbalken, sinnvoll befestigt in dynamischer Konstruktion.

Und nicht unbedingt witzig. Hätte dieser Rammbock nicht vorn einen ausgeprägten(eigensinnigen) Widderschädel, mit dem jedes Hindernis fortgefegt werden konnte, beiseite gedrückt, kurz- und kleingemacht, aus dem Wege geräumt. Basta. Und davor stand ich nun. Und dieser Mann lacht.

Rundgang um die Burg Stargard

Nehmt euch Zeit, achtet auf die wunderbaren Bäume, die Parkanlagen, die Bepflanzungen, die weiten Wiesen. Dreht weite Runden um den Ort, den man immer wieder im Tal sehen kann, steigt ab und wieder höher, denn der 6-Berge-Rundwanderweg ist wirklich idyllisch. Er schließt nicht nur verschiedene Blickachsen ein, sondern auch Erkenntnisse über das soziale und historische Miteinander in dieser Dorfgemeinschaft.

Achtung – Klüschenberg

Hier fanden wir nicht nur eine Café-Gaststätte mit einem enormen Schnitzelangebot, bei dem mir eine Erinnerung in die Nase stieg, obwohl dessen Panade noch der DDR-Kochkunst verbunden war. Aber auch schöne Wanderwege im Sonnenschein und Vogelgezwitscher. Was ein jähes Ende fand: 10 m vor uns fiel krachend eine Eiche zur Erde, ohne Vorwarnung und ohne jede Chance, beiseite springen zu können. Sie fiel so schnell, wie man einen Eimer Wasser auskippt. Wir gönnten uns nur einen sehr kurzen Moment der Erstarrung, dann – nix, wie weg.

Alt-Rehse und die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“

Da war sie wieder, unsere schwarz-braune, toxische, deutsche Vergangenheit. Das Auto gut an der kleinen Kirche geparkt, rundum alte Linden und ein Dorf, unschuldig, wie aus dem Bilderbuch, das zu einem Rundgang entlang schmucker Fachwerkhäuschen einlud.

Und doch – jedes Haus gleich dem nächsten, stand akkurat stramm in Reih und Glied, über dem Eingangsbalken Inschriften wie: Rheinland 1941, Mecklenburg 1941, keine Menschenseele, Stille. Und mich kroch es ungut an, ein Gefühl von distanzierter Abwehr, eine Atmosphäre von ungeheuren Fragen, die man lieber nicht stellen sollte. Was war hier geschehen? Und was ist jetzt?

Aufklärung über ein unglaubliches Kapitel deutscher Geschichte gab uns erst, nach dem Rundgang durchs Dorf, die Ausstellung: „Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rhese e.V. im Dokumentationszentrum des Lern- und GeDenkOrtes Alt Rhese.

„Der gebrochene Eid des Hippokrates“

Hier wurden ab 1934 Mediziner systematisch und ideologisch u.a. auf die Euthanasie vorbereitet und die gesamte deutsche Ärzteschaft (auch Apotheker, Hebammen, Beschäftigte im Gesundheitswesen) in „weltanschaulicher Schulung“ mit der NS-Ideologie der „Rassenhygiene“ infiltriert.

Zu diesem Zweck wurden – mit Ausnahme des Gutshauses, der Kirche / Pfarrhaus und des Dorfkrugs – sämtliche alte Wohnhäuser abgerissen und Alt Rehse zu einem nationalsozialistischen Mustergut und Musterdorf umgestaltet.

22 Wohnhäuser, fast ohne äußerlichen Unterschied, entstanden um das Gutshaus herum, es gab ein Sportstadion, eine Turnhalle und extra Schlafhäuser für die 132 Teilnehmer je Kurs und es war deutlich, dass neben den Vorträgen zur Rassenhygiene durchaus Geist und Körper gleichermaßen trainiert werden konnten.

Ich begriff, dass es den Mördern in Ausbildung durchaus gut ergangen ist hier, sie müssen sich gefühlt haben, wie in der Sommerfrische. Um diese Erkenntnis kommt der Besucher der Ausstellung nicht herum, man steht im eiskalten Entsetzen.

Die Fachwerkhäuser sind heute ein Flächendenkmal und diesen Eindruck vermitteln sie eindeutig: sie stehen wie erstarrte Soldaten und sie mahnen. Und sie sind wieder bewohnt. Für kein gutes Wort und für kein Geld der Welt wäre ich jemals in eins dieser Häuser eingezogen.

Unsere Welt lebt vom Gegensatz

Ja, sage ich doch immer! Yin und Yang, kalt und heiß, Frau und Mann und so weiter… und dennoch war ich selten so erfreut über diesen Gegensatz in Alt Rehse: Ganz am Ende des Dorfes fanden wir eine riesige, alte Scheune, kunterbunt, aggressiv, total verrückt und völlig unkonventionell vom Dach bis in den Garten hinein vollgestellt, beklebt, behangen, beschriftet mit wirren Sprüchen, Installationen, Skulpturen bestückt mit Müll (oder Kunst?) – ein Querdenker! Ein Aussteiger! Ein verrückt gewordener Berufspolitiker, ein bipolarer Künstler?! Ein Gestriger? Ein Vordenker?

Wie auch immer, er war leider nicht aufzufinden, ich hätte ihn gefragt und ich hätte ihn gedrückt und ich hätte „Danke“ gesagt. Denn seine gesamte zur Schau gestellte Verrücktheit half mir, gegen den üblen Geschmack im Mund diesen Ort mit einem Grienen wieder verlassen zu können.