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Der Schwarze See bei Sellin und sein dunkles Geheimnis

Blogger 25. Januar 2018August 8th, 2023Inselgeschichte(n), Rügen-Blog, Rügen-Urlaub, Sage / Legende, Sellin

Familienbesuch kommt nach Rügen

Als sich meine Nichte – eine pubertierende, zu tiefst vom Leben gelangweilte Göre – als Ferienkind anmeldete, seufzte meine Mutter schwer und sagte: „Na, denn mal viel Spaß“. Damit war sie aus allem raus, vordringlich aus der Bespaßung und Tagesplanung für den Besuch.

Ich sah das wesentlich entspannter, endlich konnte ich ihr meine geliebte Heimat zeigen: die Ostsee, wenn die Sonne blutrot am Horizont aufging über dem Wasser, den Strand, wenn sich abends die Lichter der Promenade in den Wellen spiegelten, die wunderschöne Granitz mit herrlichsten Buchenbestand – ja, das alles sollte das Mädchen kennenlernen.

Tja, morgens ging bei ihr bis zum Mittag, keine Minute eher war sie zum Aufstehen zu bewegen. Und der Abend begann für sie gleich unmittelbar danach, weil sie ununterbrochen mit ihrem Handy beim chillen war und dies bis weit in die Nacht.

Und ich wollte so gerne mit ihr zum Schwarzen See wandern, unmöglicher Gedanke, was sollte ich tun? Wenn doch wenigstens noch die Waldhalle am Hochufer, nahe des Falkenberges stehen würde, ich könnte mit Eis und Kuchen locken, so, wie diese Lokalität vor vielen Jahren immer unser Ausflugsziel gewesen war, aber, das war lange her und vorbei. Und so entschloss ich mich zum Frontalangriff. „Heute ist es auf den Tag 20 Jahre her, als der Teufel vom Schwarzen See in des Nachbars Küche war.“, murmelte ich und die Nichte schaute auf, schnell setzte ich hinzu: „Das Kreischen, als er durch den Schornstein fuhr, hat man im ganzen Ort gehört. Wie er allerdings vom Schwarzen See bis hierhergekommen ist, das ist eine lange und unheimliche Geschichte, denn, der sie erzählen könnte, musste mit dem Leben bezahlen…“.

Wenig später waren wir unterwegs, nein, wir nahmen nicht den kürzeren Weg nördlich der Selliner Seebrücke, wir nahmen den Weg mitten durch den Wald, an der Evangelischen Waldkirche vorbei, streiften rechter Hand das Gelände der Mutter-Kind-Klinik und bogen dann rechts ab auf schmalen, von dunklen Tannen gesäumten Wanderwegen. „Bitte sprich nicht so laut!“, mahnte ich meine Begleiterin, „Hier sind eine Menge Wildschweine, dein Opa nannte das Keiler – Wald, da muss man vorsichtig auftreten!“. Vergnügt beobachtete ich, wie das Mädchen an meiner Seite anfing zu schleichen und da war meine Stunde gekommen: „Soll ich dir das dunkle Geheimnis vom Schwarzen See verraten?“ fragte ich sie, „Ich kann dir eine Menge erzählen…“.

Sage über den Fischer am schwarzen See

Meine Erinnerung an den See geht viele Jahre zurück, damals, als meine Brüder Seerosen klauten und sogar Tauchversuche wagten, obwohl Baden und Fischen strengstens verboten war. Bei ersterem Verbot ist zu bedenken, dass dieser „Kesselsee“ in seiner größten Tiefe 15 Meter beträgt, bei nur 23 Hektar Fläche, im geschlossenen Randbereich von einer moorartigen Schwingdeckenvegetation umgeben ist und diese schwimmende Pflanzendecke über dem gesamten See Ertrinkungsgefahr bedeutet. Ich saß am Rand, schreckensstarr und wartete auf meine Brüder, die mir die von seltenen, graphitgrauen, schnellen Fischen erzählten und von riesengroßen Hechten, mit Köpfen lang wie ein Männerarm!

Und dennoch war auch das Fischen verboten, denn eine Geschichte berichtet, wie Fischer K. aus Sellin heimlich immer wieder zum Angeln an den See fuhr und reiche Beute machte. So viel, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte und begann, den stillen Waldsee sogar mit Reusen zu befischen. Die Nachbarn schauten neidisch zu, sein Fang überstieg bei weitem das Übliche Maß der Boddenfischerei – und dennoch wollte keiner mit ihm tauschen, denn er war ein übler Bursche von bösem Charakter und man war sich einig: „Das geht mit dem Teufel zu!“. Wie sehr, sollte sich noch zeigen.

Eines Tages fand Fischer K. einen riesigen Aal in seiner Reuse, so schwer und lang, dass er ihn mit samt der Reuse auf die Schultern nahm und nach Hause schleppte. Dort schlug seine Frau erst die Hände über den Kopf zusammen und setzte dann den größten Kessel auf `s Feuer, den sie finden konnte. Doch, in dem Moment, als das Wasser sprudelte und der riesige Fisch in den Topf bugsiert werden sollte, richtete sich das Tier mit höhnischem Zischen gegen die Fischersleute und jagte mit gellendem Schrei zum Schornstein hinaus. Obwohl der Schreck über die Begebenheit noch tief in den Gliedern saß, wollte sich der Fischer nicht geschlagen geben – so einen großen Aal hatte noch keiner gefangen! Und wieder ging er heimlich zum Fischen auf den Schwarzen See und sah einen großen dunklen Schatten und beugte sich tief über den Bootsrand – und laut ertönte das höhnische Zischen und gellend kam der Schrei vom Fischer – und niemand hat je wieder von Boot mit Fischer gehört und gesehen.

Legende über das Schloss im Selliner See

Inzwischen hatten wir den See erreicht, tiefschwarz und still lag er vor uns, vereinzelte Sonnenstrahlen setzten mystische Lichter, entwurzelte Bäume spiegelten sich im Wasser und die hohen Schilfhalme wisperten. „Hörst du das?“, fragte ich: „Hörst du die leisen Stimmen?“. Man musste ganz still stehen und spüren, um die ganze Magie unmittelbar erleben und den märchenhaften Reiz der Umgebung aufnehmen zu können.

Ich führte meine Begleiterin zu einem kleinen Holzsteg, auf dem man bis auf den See gelangen konnte und wies auf eine knorrige Eiche neben dem kleinen gemütlichen Rastplatz: „Schau, der Sage nach war diese Eiche einst ein Prinz, sein Schloss stand eben hier, wo du jetzt nur Wasser siehst. Eines Tages, als er zur Jagd ausgeritten war und sich auf dem Heimweg befand, war das Schloss versunken, fort, nur noch ein runder See kennzeichnete die Stelle, an der es gestanden hat. Auf dem Wasser schaukelte verloren nur sein Stuhl und darauf entdeckte der verblüffte Prinz seine reichverzierten Handschuhe. Auf die wollte er nicht verzichten und so angelte er sie sich mühsam herbei und griff beherzt zu. In diesem Augenblick versank auch der Stuhl, denn hätte er, statt nach den Handschuhen, nach dem Stuhl gegriffen, wäre das versunkene Schloss erlöst gewesen.

Man erzählt sich, dass Schloss- und Bewohner erlöst werden können, denn einmal im Jahr, an dem Tag, als es versank, erscheint es wieder an der Oberfläche. Dann muss man mutig über das Wasser gehen und eintreten – aber, wer kennt den Tag? Es wird erzählt, dass man in der Neujahrsnacht sogar den Jubel der Unterwasserbevölkerung hören kann, ja, es geht so ausgelassen zu, dass der ganze Wald davon erschallt. Stell dir vor.“, sagte ich zum Mädchen an meiner Seite: „Wir haben sogar einmal versucht, in der Silvesternacht bis zum Schwarzen See zu wandern. Wir wollten testen, ob wir die Schlossbagage feiern hören…“. Meine Nichte sah mich mit aufgerissenen Augen an: „Nachts durch den Keiler-Wald… Nee, ne?!“. Aber da musste ich bekennen, dass wir es nur wenige Hundertmeter in die dunklen Buchen hinein geschafft hatten, die Stimmen des Nachtjägers rundum waren zu unheimlich und zu laut… Aber das ist nun wieder eine andere Geschichte.

Jadgschloss Granitz

Nach kurzer Rast fanden wir den ausgewiesenen Wanderweg zur „Kreuzeiche“, von dort zum Grab des „Finnischen Kriegers“. Hier soll ein finnischer Soldat aus den napoleonischen Kriegen von 1806 schwer verwundet seine letzte Ruhestätte gefunden haben. Weiter ging es über die „Dolge“, einen wunderschönen schmalen Wanderpfad, der an Wanderrouten durch das Thüringer Land erinnert, bis zum „Jagdschloss“ auf dem Tempelberg. Hier, auf einer Anhöhe von 107 Meter, baute Fürst Wilhelm Malte um 1840 sein Jagdschloss. Hier gab es endlich Kaffee und Kuchen, Betriebsamkeit und reichlich Besucher.

Die Waldesstille, die märchenhafte Idylle am Schwarzen See, war verflogen, ein neues, interessantes Kapitel in der Geschichte Rügens könnte aufgeschlagen werden, denn das „Jagdschloss“ bietet Ausstellungen und Exponate von so umfangreicher Wissensvermittlung, dass wir uns entschlossen, diesen Besuch auf einen anderen Tag zu verschieben.

Nur wenige Minuten entfernt erreichten wir die Haltestelle der Kleinbahn, ich war froh, meine Beine ausstrecken zu können, meine Nichte blieb am offenen Peron stehen und ließ sich den Fahrtwind um die Nase wehen und den Gedanken grenzenlosen Raum, was würde sie später mal vom „Schwarzen See“ erzählen? Eine ganz andere, neue Geschichte?

Wundern würde es mich nicht…

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