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Reisebericht Belgien: Endlich Antwerpen

Blogger 11. November 2021Reiseberichte, Belgien, Rügen-Blog

Autofahrt nach Belgien

Nun sollte es wirklich werden: ein lange gehegter Reisewunsch nach Antwerpen und Brügge kam in trockene Tücher – was habe ich mich gefreut!

Selbst die lange Autofahrt nach Belgien in einem Stück, immerhin gute 10 Stunden, konnten mich nicht nervös machen. Ich saß voller Vorfreude ganz kribbelig über Autokarten und Reiseführer, alles lief reibungslos.

Unser „Hochhaus“ im Schipperquartier von Antwerpen

Ich hatte mitten in der Stadt, im historischen Schipperzentrum, also in Hafen und Bordellnähe (dazu später), eine Ferienwohnung gefunden, die uns verblüffte: in einem hohen Geschäftshaus mit Aufzug aus dem Jahre 1920 hatten wir eine riesige Wohnung (120 m²), die so lang war, wie das gesamte Haus, aber nur 4 m breit. Absolut und perfekt in eine Lücke der üblichen gotischen Giebelhäuser eingepasst.

Der Blick im Hof zeigt den außergewöhnlichen Grundriss. Bis zum Bad ging es durch 5 Räume und nie wusste der eine, wo sich gerade der andere aufhielt.

Absoluter Knüller war der alte Fahrstuhl, ohne den man nicht mal seinen Einkaufskorb bis nach oben hätte bringen können, das Treppenhaus war weniger als schulterschmal. Aber, dieses mobile technische Denkmal ruckelte und zuckelte mit uns tapfer bis in den 5. Stock und entließ uns nach jeder Benutzung mit einem erleichterten Lächeln.

Übrigens war dieses „Hochhaus“ auch von der Aussichtsplattform des MAS zu erkennen, es markierte deutlich das historische Zentrum.

Erst mal ans Wasser – mit De Waterbus ins Havenland

Weil wir so perfekt zentral wohnten, konnten wir das Auto auf einem kostenfreien Parkplatz unterbringen und alle Ziele in der Stadt per pedes bestens erreichen.

Bis auf die Tour mit dem Wasserbus. „De Waterbus“, eine total entspannte Fahrangelegenheit, nutzen wir, um uns durch das überwältigende, riesige Hafenareal, das „Havenland“ bis zu den alten Fort-Anlagen Antwerpens bringen zu lassen.

Wir waren bei Fort Lillo, ein Überbleibsel und ein hochinteressanter Abschnitt in der Militär- und Verteidigungsgeschichte dieser Stadt. Noch bewohnt, durch Kirche, Kasernen und durch ein kleines Cafe begrüßt, konnten wir diese Anlage, datiert aus dem Jahre 1580, durchwandern, wie ein Freiluftmuseum. Außerdem bekommt der Stadtreisende per Wasserblick mal eine kleine Ahnung von der Bedeutung Antwerpens als Hafen- und Hansestadt. Sehr zu empfehlen.

An der Schelde: Hafenmeister – Lotsenhaus – Edelsteingebäude

So standen wir dann, 30 Minuten nach Ankunft, an der Schelde, ebbemäßig sediert, dieser Wasserarm, aber ich entdeckte sofort das kleine alte Haus des Hafenmeisters, und das war gut so, denn es stand in keiner Beziehung mehr zu dem neueren Komplex des großen, massiven Lotsengebäudes am Ufer bzw. zum futuristischen „Diamant“-Huus, das als Wahrzeichen am Schelde-Ufer verblüffende Wirkung zeigte.

MAS – Museum aan de Stroom

Das „Museum aan de Stroom“ konnten wir von unserer hochgebauten Unterkunft bestens bewundern. Keine Frage, dass dieses ungewöhnliche Gebäude uns, noch vor allen anderen Historischen, zum Besuch anzog.

Ein Multifunktionsmuseum über 10 Stockwerke, per Rolltreppe hoch bis zur Aussichtsebene in 65 Metern Höhe – und tatsächlich – hier konnten wir umgekehrt unser Haus und unsere Ferienwohnung ausmachen. Das MAS, ein kunstvoll aus Glas und Backstein gestaltetes Gebäude für Menschen, über Menschen im humanitären Miteinander, das hat uns sehr beeindruckt.

Die fünf historischen Kirchen von Antwerpen

Nein, wir haben es nicht geschafft, alle fünf Kirchen zu besuchen. Für diese massive Begegnung mit dem herrlichem Mobiliar, imposanten Orgelbauten, wundervollen bunten Glasfenstern, den prächtigen Skulpturen und Gemälden war die Zeit in Antwerpen einfach zu kurz.

St. Pauluskirche

Die St. Pauluskirche musste sein, denn die über 50 Originalgemälde der alten flämischen Meister in Galerie, sieht man so niemals wieder. Jedes Werk ein Kunstgenuss, und man steht starr und staunt und der Nachmittag ist rum.

St. Jacobikirche

Ähnliches in der St. Jacobikirche, in der Peter Paul Rubens beigesetzt wurde und in der er der Nachwelt ein Gemälde überließ.

Liebfrauenkathedrale

Ein absoluter Solitär unter den Kirchen von Antwerpen ist die Liebfrauenkathedrale. Ihr hoher Turm bestimmt das Stadtbild. Hier verschlug es mir den Atem. Wie angewurzelt stand ich vor der weltberühmten „Kreuzaufrichtung“ und der „Kreuzabnahme“.

Diese einzigartige Lebendigkeit im Bild, die Farben, Figuren, Gesichter, „Mensch Peter Paul, du hast mir die Luft genommen.“.

Und als ich um das Altarbild herumging, die Rückseite des Flügels betrachtete, stand ich plötzlich und unerwartet vor dem Meister selbst: überlebensgroß schritt Peter Paul Rubens, als Hlg. Christophorus, mir direkt ins Herz. Wie kann man nur derart malen.

Die gutbürgerlichen Patrizierhäuser

Bei den Stadtrunden geht der Bewunderer dieser wunderschönen gotischen Giebelhäuser wie durch ein Freilichtmuseum. Aber ein ganz besonderer Museumsbesuch gilt dem Inneren dieser prächtigen Bauten. Da ist alles: gotische Baukunst, Pracht der Renaissance, Üppigkeit des Frühbarock. Hat keinen Sinn, hier etwas aufzuzählen, dem muss man sich ergeben. Eintauchen in die Geschichte, in Kultur und Lebensweise, im Dasein vor 500 Jahren, so im Rubenshaus, im Snijders&Rockoxhaus und im Museum Plantin-Moretus.

Museum Plantin-Moretus am Vrijdagmarkt

Das Museum Plantin-Moretus ist das erste Museum das sich auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes befindet. Dieses Haus im Herzen von Antwerpen findet man am Vrijdagmarkt, und wenn man dort tatsächlich an einem Freitag vorbeikommt, ist – mit Museum und Marktangebot – der Freitag gelaufen, was für eine wunderschöne Ecke!

Plattdeutsches niederländisch-englisches Belgisch

Und rundum wildes junges Leben, Antwerpen hat einen Campus mit 20 Tausend Studierenden, dazu die herrliche Sprache, halb Plattdeutsch, halb Englisch, immer gut zu verstehen, oft witzig interpretiert.

Auf einem Parkplatz sprach mich ein Einheimischer an und ich verstand von dem ganzen Wortschwall kein Stück, bis auf den letzten Satz, da fragte er mich: „Weet juch dat?“. Und ich habe korrekt geantwortet: „Nee, weet ik nech…“, was ohne Stirnrunzeln akzeptiert wurde. Na also, geht doch.

Dennoch. Unser Schulenglisch ist derart verschüttet, dass ich mir vorgenommen habe – der nächste Kurs an der VHS ist nicht Aquarell, sondern Englisch. Jupp.

„Te Huur“ – im Rotlicht­viertel von Antwerpen

Wir sind natürlich auch mal durch das Rotlichtviertel von Antwerpen.

Ich habe artig die Damen im Fenster gegrüßt und mich amüsiert über die unzweideutige Hausanschrift:

„Te Huur“ stand da überall.

Später begegnete ich diesen zwei Worten auch in der Innenstadt und begriff, das „Te Huur“ mitnichten etwas mit der Nutte zu tun hatte, sondern einfach „zu vermieten“ bedeutet.

Was ja nun – und so ist Belgisch – doch wieder auf die Sache und das älteste Gewerbe der Welt hinweisen könnte.

Brügge sehen – und sterben?

Brügge ist das absolute Freilichtmuseum. Alle Häuser, alle Wohnanlagen im gotischen Giebelbau und alles, wie im Film. Leider nicht die Menschen, Touristen wohin man den Fuß setzt, Pferdegespanne im Dauertrab, Radfahrer zwischendurch und angesoffene Betriebsausflügler. Und die berühmte belgische Schokolade war aromatisierte, bunte Zuckerware, Hauptsache viel. Wir haben uns zum Groten Markt durchgekämpft, Belfried, Rathaus, Tuchhallen bestaunt und uns über wunderschöne, alte Brücken in die Abseiten begeben.

Denn, um Glück gab es Schleichwege abseits der Touristenrouten und wir fanden ein winziges Cafe im Wohnzimmer einer Dame mit großem Hund (eigentlich war mit den beiden schon der Gastraum ausgefüllt) und da gab es eine belgische Spezialität: Brotkuchen (oder Brotpudding?) und nette Gespräche auf Plattdeutsch. Dringend sei hier ein Besuch außerhalb der Saisonzeit empfohlen, die Stadt ist es wert und wird es danken.

Im Alten Land

Zurück haben wir Stop in Stade gemacht, im Alten Land und eigentlich schon im Einzugsgebiet der Hamburger.

Ich war bereits auf Krawall gebürstet, wurde aber übermäßig positiv überrascht: Fachwerkhäuschen, wie in der Puppenstadt, alte Stadt- und Hafenanlagen, eine sehr schöne, verkehrsberuhigte (juhu – keine Touristen) Innenstadt, romantische Gassen und eine Hausinschrift, die hoffen lässt: „För gaude Fründ un gaude Tied is allzeit unsre Döre wiet“.

Ich habe einen Eimer voll der dicken, roten Äpfel mitgenommen, die in endlosen Obstplantagen die Straßen säumten.

Das ist himmelsgleicher Apfelgenuss und kein Vergleich zu der Fake – Schokolade aus Brügge.

Dennoch – nach Brügge muss ich noch einmal.

Am besten im November.

Denn dann ist auch noch Zeit für die dicke rote Äpfel aus dem Alten Land und noch mehr Zeit für das romantische Stade.

Extra-Kapitel:

Das Museum „Red Star Line“ in Antwerpen – eine Geschichte der Auswanderer

Warum hier ein besonderer Beitrag zum Thema „Museen in Antwerpen“? Weil dieses Museum nicht nur ein besonderes Gebäude ist, nicht nur eine Ausstellung zeigt, die allen musealen Ansprüchen in Vollendung gerecht wird, sondern vor allen Dingen ein spezielles, historisches Thema komplex darstellt.

Antwerpen und die Reederei „Red Star Line“ wurden Ende des 19. Jahrundert zum Zentrum des Auswanderns aus Europa. Von hier erfolgte, nach einem kurzen Aufenthalt in Antwerpen, die Reise vorwiegend armer Emigranten in ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben in der Neuen Welt.

In den ehemaligen Abfertigungshallen für die Dritte-Klasse-Passagiere, gebaut ab 1893, wurden die Auswanderer und alle Familienangehörige sowie Mitreisende ärztlich untersucht, sie selber und ihr Gepäck unter strengster Aufsicht desinfiziert.

Der Museumsrundgang ist perfekt vorbereitet durch ein Katalogbüchlein, was jeder Besucher mit der Eintrittskarte in die Hand bekommt.

So folgt er thematisch den einzelnen Ausstellungsstationen: vom Beginn erster Funde des menschlichen Wanderns vor 42.000 Jahren als Jäger-Sammler bis zur gegenwärtigen Flüchtlingskrise.

Er erfährt alles über Transportmöglichkeiten, Reisebedingungen, den Zuständen an Bord und Vieles anhand sehr emotionaler und persönlicher Zeitzeugnisse.

Ich habe eine Tante in Amerika

Ich habe eine Tante in Amerika und die heißt Emilie Dyck.

Tatsächlich bin ich in den 50-er Jahren mit den großen Paketen aus Amerika aufgewachsen.

Sie waren in weiße Laken eingenäht (meine Mutter hat die Nähte sorgfältig aufgetrennt und die Tücher weiterverwendet) und wurden im Winter mit dem Schlitten von der Post geholt.

Diese Tante muss Anfang des 20.Jhd. zu den Auswanderern gehört haben, die Pakete kamen aus Kansas und waren ein Geschenk des Himmels.

Leider ist dieser Teil Familiengeschichte verschollen.

Nur ein altes Foto existiert von mir mit meiner Puppe „Bonnie“ aus Amerika. Sie war die Schönste aller.

Wer ist heute ein Migrant?

Am Ende des Rundgangs steht der Besucher vor der Frage: Was bedeutet heute der Begriff „Migrant“? Sind nicht auch Touristen, Musiker auf Tournee oder Auslandsstudenten in gewisser Weise Migranten? Schon immer gab es große Migrationsbewegungen. Illustriert werden sie hier durch die Geschichte der „Red Star Line“.

Ein ganz wunderbares und sehr wichtiges Museum. Unbedingt viel Zeit einplanen!