Mein Kindheitstraum: Urlaub in Venedig
Inzwischen habe ich das Kinderjahr vergessen, als ich mir in der Gemeindebibliothek ein Lesebuch auslieh. Ein Buch von einem kleinen Jungen, der auf der Glasmacherinsel Murano lebte und das von seinem Leben, von seiner Familie und vor allem von dem Stolz der alten Handwerkskunst der Glasbläser in Italien erzählte.
Eine Insel bei Venedig. Eigentlich genau gegenüber gelegen und damit ein Teil dieser Welt um den Stadtstaat Venedig. Aber Venedig hat mich weniger interessiert. Es war Murano, diese ganz besondere, individuelle Insel der Glasmacher. Die Insel der Künstler, die so besondere Dinge herstellen konnten. Das alles, das wollte ich mal sehen.
Jahrzehntelang war kein Gedanke daran möglich. Das Buch habe ich nie wieder gesehen und seinen Titel längst vergessen. Aber nun war ich in Venedig und auf Murano.
Wer fährt denn freiwillig nach Venedig?
„Wer fährt denn freiwillig nach Venedig?“, fragten mich die Freunde als sie von meinen Reiseplänen erfuhren. Dorthin, wo sich Reisegruppen über die Rialto-Brücke schieben, auf die Piazza San Marco, wo sich Menschenmassen gegenseitig auf die Zehen treten, in eine Stadt, in der die Kreuzfahrtschiffe höher sind als die Paläste am Kai, „da wollt ihr hin?“.
Berechtigte Bedenken, ohne Zweifel. Und wer sich auf diese drei markanten Punkte beschränkte, hatte genau das!
Venedig ganz anders
Schon die Voraussetzungen für die Reiseplanung waren andere: ein Bauingenieur und eine Museologin wollen nach Venedig.
Den einen interessiert die Statik, Gründung und Aufbau der italienischen Häuser, die andere schaut in die Geschichte, Jahrhunderte zurück. Rialto hin, Marcusplatz her, die Häuser dieser einmaligen Stadt und das Leben ihrer Bewohner, das wollten wir kennenlernen.
Beste Wohngegend, beste Entscheidung
Und so buchten wir eine Ferienwohnung im Stadtteil Cannaregio. Dort, wo die richtigen Venezianer leben, direkt an einem kleinen Seitenkanal, wunderschön, wie im Bilderbuch.
Mit kleinen Geschäften entlang der Uferpromenade und noch kleineren Kneipen, in denen der beste Cappuccino der Welt, hervorragendes Olivenbrot und Vino rosso ohne Ende verkauft wurden. Und was man dort entdecken konnte: Haushaltswaren aus dem augenscheinlich letzten Jahrhundert, Möbelstücke und Lampen zum Totlachen und ein Handarbeitsladen, der handgehäkelte Einkaufsbeutel anbot. Massenweise.
Und morgens sahen wir, direkt unter unserem Fenster, die Wirtschaftsboote, Transportkähne und die privaten Hausgondeln zu ihren unterschiedlichen Bestimmungsorten vorbeiziehen.
Und alles sehr gemütlich, fröhlich, in Ruhe. Was bleibt einem auf einer Straße auch weiter übrig, die nur Wasser führt und es völlig gleichgültig ist, ob man Gas geben möchte – es geht einfach nicht schneller.
Das Phänomen der Touristenstadt Venedig in Italien
Na und ob diese Stadt voller Touristen ist – in den angesagten Zentren kann man wirklich kaum treten. Die genervten Venezianer haben den Überblick über eine sichere Besucherzahl im Jahr längst verloren – 5 oder 10 oder doch 13 Millionen? Unglaublich, wie die Stadt und ihre Bewohner das aushalten, Menschenmassen überall im Zentrum.
Aber dann die Überraschung: nur 2 Minuten vom Marcusplatz entfernt, nur 5 Minuten um zwei, drei Ecken gegangen, in jedem Falle über zwei, drei Brücken, ist es still. Eine Kirche, ein kleiner Platz, mittig ein Brunnen, ein Cafe oder eine Pizzabude, ballspielende Kinder, Ruhe.
Und so zogen wir unsere Kreise systematisch um das Zentrum herum und fanden ein Venedig in Retrospektive, bezaubernd, eigenwillig, einmalig.
Piazza San Marco menschenleer
Den Piazza San Marco kann man nicht menschenleer erkunden? Doch, das kann man. Stellt euch den Wecker auf 6 Uhr und lauft durch diese erwachende und verblüffend morgenfrische italienische Stadt. Scheiben werden geputzt, Stühle bereits rausgestellt, Brote verkauft, Motorboote transportieren tuckernd die Milch und das Gemüse.
Und auf dem Marcusplatz seid ihr ganz alleine, tatsächlich. Was für ein erhebendes Gefühl. Schon alleine in dem Gedanken daran, was sich in weniger als 3 Stunden hier wieder abspielen wird…
Und dann schaut ihr gemächlich in alle Ecken und geht bis an die Uferkante, denkt an Marco Polo und alle anderen, die hier landeten und dann geht ihr zu einem feinen kleinen italienischen Frühstück in das nächste Cafe.
Im Palazzo Ducale von Venedig
Um 9 Uhr öffnet der Dogenpalast, der Palazzo Ducale, seine Eingangspforten.
Ihr seid die ersten Urlauber in einer Besucherschlange, die ständig wächst. Ihr bezahlt 20,- Euro für den Besuch des gesamten Palastes, pro Person und schluckt verblüfft an diesem Billettpreis.
Aber, es lohnt unbedingt.
Nicht nur die prächtigen Verwaltungsgebäude, die Ausstattung und die wunderbaren Wandgemälde werden dokumentiert, sondern in jedem Raum wird bezuggenommen auf die Politik, die Rechtsprechung, die Versuche einer venezianischen demokratischen Ordnung, auf das öffentliche Leben und den Charakter eines Stadtstaates.
Der Rundgang führt über die „Seufzerbrücke“, durch die Gefängnisse hindurch und auch zurück, nach über zwei Stunden Politik und Pracht ist man reichlich geschafft.
Der große Sitzungssaal ist umwerfend, er sprengt jede Dimension von Versammlungsraum.
Es nimmt einem den Atem.
Nicht nur, weil der Besucher vor dem weltweit größten Wandbild steht, auf dem die Schule Tintoretto mit über 500 Darstellungen das Paradies verewigen wollte.
Auch, weil dort tatsächlich ein Pärchen zu beobachten war, das unbeeindruckt von der gewaltigen Umgebung versuchte, das jeweilige Nasenloch vom jeweils anderen im historischen Licht zu fotografieren.
Ich musste an den Altmeister Loriot denken, ach Gott, der Mann hat sie alle gekannt…
Murano – Stadt der Glasbläser
Zum Schluss noch das Abenteuer „Vaparetto“ getestet. Die Linienbusse, die hier halt auch nur Schiffe sind. Die überaus pünktlich ihren Fahrplan einhalten und mit ihren Routen perfekt Venedig und alle Inseln anlaufen. Man muss nur rausbekommen, wie und wann.
Dann läuft die Fahrt, wie am Schnürchen. Mit Umsteigen und richtig hindurch durch den Canale Grande. Und das als Abschluss bei Dunkelheit. Es ist ein ganz besonderes Erlebnis, das zentrale Venedig vom Wasser aus, illuminiert bis unter die letzten Dachbalken der Palazzi, zu bestaunen.
Das war die Krönung nach unserem Ausflug von Murano, der kleinen, gemütlichen, romantischen Glasbläserstadt. Dort waren wir fast alleine. Jedenfalls stand unsere minimale Besucherschaft sehr im Gegensatz zu dem Angebot der Glaskunstgeschäfte – auf der Strecke vom Bahnhof / Haltestelle Wasserbus über die Brücke und zurück sind wir wohl an 30 verschiedenen Geschäften vorbeigekommen. Alles Glas, in allen Formen und Farben, für jeden Geschmack und Anspruch, unglaublich wie hier die Nachfrage geregelt wird.
Dieses Problem konnten wir nicht klären, wir waren als Besucher zu früh in der Jahreszeit und als Käufer zu spät am Tage, alle Geschäfte waren geschlossen.
Ich stand auf der Brücke und sah zurück auf Murano. Und plötzlich mußte ich an Hiddensee denken, an unsere eigenwillige kleine Schwesterinsel zuhause.
Wie hier eine Künstlerinsel, wenn auch mit viel längerer Geschichte, auch hier ein Zentrum eigenwilliger Inselmenschen mit ihren Besonderheiten. Gerne hätte ich an eine der kleinen Türen geklopft und gefragt: „Kann ich im November wiederkommen und ein Jahr bleiben?“.
Tja – und was hätte ich dann gemacht, wenn ein alter Glasbläsermeister geöffnet hätte und zu mir sagt:
„Tschäwoll doch, kümm man rinn…“.
Toller Beitrag. Man bekommt richtig Lust auf Italien 🙂
Vielen Dank, aber die Insel Rügen ist noch immer am schönsten 😉