Eine kurze Begegnung mit kleiner Weisheit – Eulenfund auf der Insel Rügen
Die Eule ist das Zeichen der Weisheit. Und Weisheit beginnt mit Nachdenklichkeit. Und wenn dann noch eine Eule dazu kommt, ist die Geschichte perfekt. So geschehen bei uns zu Hause in Göhren auf Rügen und das kam so…
Unsere Nachbarschaft in Göhren
Wir haben einen Nachbarn, der ist Gerüstbaumeister und wiederum einen nebenan, der ist Jäger. Der Eine hat im weitesten Sinne mit der Sanierung von Häuserwänden zu tun, der Andere hauptberuflich zwar auch, aber im inneren Kern sitzt bei ihm der Jäger. Der Gerüstbauer ist ein aufgeschlossener, fröhlicher Mensch, dem Leben eher mit Leichtigkeit zugetan. Vielleicht liegt das an der Sichtweise in luftiger Höhe auf seinen Gerüsten, man sieht von oben doch manches anders.
Der Jäger ist eher introvertiert, ein stiller Mensch mit Humor in Konservendose. Auch das erklärt sich durch jahrelanges, einsames Sitzen im Wald, meist auch noch bei Nacht. Wenn er sich bei Dunkelwerden, ausgerüstet mit Hund, Flinte und Jägermontur auf Pirsch begab, wurde mir immer ein wenig schaurig zumute. Wusste ich doch, jetzt ging`s ans Töten! Manchmal überkam mich dann nicht wenig Lust, die Tröte vom Jahrmarkt zu greifen, in den Wald zu rennen, zu lärmen, wie verrückt und zu brüllen: „Haut alle ab, ihr Tiere, der Jäger rückt an!“ Und dabei bin ich mit die Erste, die sich als Kundin in der Reihe anstellt, wenn es heißt, einen Wildbraten abzufassen. Ja, ich habe im Laufe der Jahre schätzen gelernt, was es heißt, sauberes, gutes, gesundes Fleisch auf den Tisch bringen zu können. Uns schmeckt nichts anderes mehr, es muss nun Wildschwein oder Reh sein, und der Genuss ist unbeschreiblich! Man bekommt ein feines Fell auf der Zunge für Gutes.
Dennoch – Jäger sind nach meiner Meinung nicht ganz dicht. Sie ziehen aus zum Töten. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Sie löschen Leben aus, ratzfatz in Sekunden. Sie sind mir unheimlich, sie haben – nach meiner Meinung – ein gestörtes Verhältnis zum Tierleben. Und mal ehrlich, man merkt es ihnen auch an. Und wie viele von uns kennen so einen Jäger? Na? Siehste.
Natürlich weiß ich, warum Jäger wichtig sind und ich versuche auch ernsthaft hinter das System „Jagd“ zu kommen, stoße aber ethisch an meine Grenzen.
Und ich meine nicht den FÖRSTER. Nein, der tötet ja nur nebenbei, der ist ganz anders, der hegt und pflegt den Wald, der kennt jeden Baum beim Namen und jeden Vogel an seinem Ruf. Der liebt die Natur und die Tiere, der ist ein Teil in seinem Revier, der lebt für seine Bäume, er ist der Gute.
Irgendwie muss ich diesen Gedankengang derart verinnerlicht haben, dass er beim Jägernachbar auffällig wurde. Denn nun zurück zum Gerüstbauer. Der findet beim Aufstellen seiner Gerüste an einem alten, verlassenen Haus eine kleine Eule. Klein, weil noch jung. Aufgescheucht und total verängstigt versuchte sie zu fliehen, knallte gegen Fensterscheiben und Wände und fand nicht das Loch zur Freiheit. Der Gerüstbau-Nachbar, ein zum Glück aufgeschlossener Mensch, erkennt, dass dies ein besonderes Exemplar Eule ist, er will sie retten. Sie fangen die kleine Eule mit Decken, stellen sie ruhig in einem Karton und versuchen dann, eine entsprechend zuständige staatliche Verwaltungsstelle zu finden. Das erwies sich als weitaus schwieriger als das Eulenfangen. Die Polizei war nicht zuständig, das Ordnungsamt auch nicht, das Sekretariat Biosphäre hatte keine Ahnung und den möglichen Revierförster kannte kein Mensch.
Da besann sich der Gerüstbauer auf seinen Nachbarn, den Jäger. Und so kam es, dass dieser Jäger – in seiner humorigen Art – zu mir sagt: „Mein Hund hat jetzt ein Spielzeug im Auto, eine kleine, lebendige Waldohreule!“. Ich denke, mich rührt der Schlag. Noch nie sah ich eine Waldohreule. Und dies nun als Spielzeug für einen Hund?! Meinen Aufschrei musste ich dämpfen, denn, ich durfte ran an die kleine Waldohreule in der Kiste im Jägerauto. Da saß sie, verängstigt zwar, aber wunderschön, sorgsam auf Decken gesetzt und geschützt durch einen Käfig. Mit aufmerksamen, so klaren, gelben Augen sah sie mich durchdringend an, es war faszinierend.
Und der Jäger wurde zum Förster
Verblüfft registrierte ich die Fürsorge mit der mein Jägernachbar diese kleine Waldohreule bedachte, wie er sie schütze vor den Menschen, vor Gefahr (ich wollte ihr zu Füttern geben!), wie er ihren Notzustand respektierte und sie beruhigte. Und wie glücklich er war, dass er helfen konnte, dieses Tier zu retten. Und wie besorgt er um ihren Gesundheitszustand war.
„Nachher, wenn es dunkel wird, fahre ich gleich in den Wald und lasse sie fliegen“, sagte er. Und dann kam der Teil der Rede zu mir: „Ja, nicht immer nur morden und töten und umbringen, viel wichtiger ist es, zu erhalten und zu pflegen! Da siehst du es!“. Versteht sich von selbst, dass ich schwieg.
Später schickte er mir tatsächlich die Fotos von der kleinen Waldohreule, wie sie freigelassen wurde und in seinem Waldrevier davon geflogen ist.
Ein gutes Ende und ein beglückendes Erlebnis, denn: „Jedes Ding hat drei Seiten: Eine die du siehst, eine, die ich sehe und eine die wir beide nicht sehen.“. Die dritte Seite der Sicht in diesen Dingen hatte die Waldohreule und davon wissen wir nun überhaupt nichts.