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Waldbaden in Göhren auf Rügen

Blogger 20. September 2020September 24th, 2020Göhren, Inselgeschichte(n), Rügen-Blog, Rügen-Urlaub, Streifzüge

Heilsame Begegnung mit der Natur

Ein uralter, neuer Gedanke. Und absolut nicht verkehrt gedacht. Alle Welt spricht heute vom „Waldbaden“ als heilsame Begegnung mit Bäumen, Pflanzen, Natur und – nach Möglichkeit – mit Einsamkeit.

Damit sich die Gedanken ordnen können, die Seele zur Ruhe kommt, die Atemwege wieder so funktionieren, wie es ihnen ursächlich zugedacht war und der waldbadende Mensch sich reinigen kann. Denn das ist ja wohl das Anliegen von einem Bad, hier allerdings innerlich, wohlbemerkt.

Ich bin aufgewachsen zwischen Wasser und Wald. Wir gingen zum Baden an den Strand und zum „Ströpern“ in den Wald. Kinder eben, da ist alles einfacher. Wie läuft das bei den Erwachsenen?

Wald reinigt – Wasser heilt

Wie folgt – denn nun lebe ich wieder zwischen Wasser und Wald. Und ich gehe mitnichten nur zum Baden an die See oder zum Wandern in den Wald. Beides ist eine Vermischung geworden, die so oft und so lange es machbar ist, zusammengehört. In beiden Handlungen liegt „Reinigung“, Erneuerung, Abkehr von unguten Gedanken und belastenden Gefühlen. Denn „Wasser heilt“, wie es die klassischen Weisheiten des Altertums belegen. Und Wald „reinigt“? Und ob! Ich erzähle es euch.

Als Kind im Wald auf Rügen

Der neue Trend „Waldbaden“ beginnt mit der bewussten Wahrnehmung seiner Umgebung in der Natur, mit dem tiefen Durchatmen, dem Blick auf Bäume, Himmel, Farben, Vogelstimmen und vieles mehr. Genau das mache ich von Kindheit an. Ich bin so erzogen worden.

Mein Vater zeigte uns die verschiedenen Baumarten und Pflanzen auf Rügen, wir lernten auf Vogelrufe zu achten, lernten Wegefinden und Tierspuren deuten. Meine Mutter sammelte mit uns Blüten und heilkräftige Blätter für den Wintertee. Und über allem lag ein stilles Gebot: Im Wald hält man den Mund. Da zählte nur Hören und Sehen und Fühlen. Niemals wären wir Kinder krakeelend querfeldein getobt. Wir wussten, wir würden sonst etwas zerstören.

Heute, wie gesagt, bin ich fast täglich im Wald unterwegs, schon allein deshalb, weil der Weg zum Strand halt dort hindurchführt und entlang des sogenannten „Grünen Wanderweges“ rund um das Göhrener Hövt.

Begegnungen und Reinigen

Nur sehr früh am Morgen und spät in den Abendstunden ist der Mensch dort mit seinen Bemühungen um das „Waldbaden“ alleine. Man begegnet den „Fastenwanderern“, Schulklassen, vergnatzten Fahrradfahrern, die dort ihr Bike schieben müssen, fröhlichen Ausflüglern, sonnenbrandgeplagten Strandverweigerern und eben Jenen, die in trauter Gemeinschaft einfach nur durch ein Stück Natur wandern möchten. Und genau die sind am „Waldbaden“ – freilich auf eine andere Weise als ursprünglich gedacht.

Wandern und reden

Die Allerwenigsten laufen still und gedankenvoll vor sich hin. Fast jede Menschengruppe der ich begegne, egal, in welcher Zahl, sind im anregenden Disput miteinander beschäftigt.

Manche streiten, manche diskutieren, sie erzählen sich Dinge, die unbedingt gesagt werden müssen, die sie beschäftigen und sie so sehr bewegen, dass nun die Zeit gekommen ist, um sie an die Luft zu lassen.

Wann, wenn nicht jetzt – und wo, wenn nicht hier!?

Ich laufe vorsichtig an ihnen vorbei oder auch langsam hindurch, oft bemerken sie mich gar nicht, so sehr sind sie miteinander im Gespräch. Und im Vorbeihuschen nehme ich ihre Worte mit, ich kann registrieren, worum es gerade geht, ich bin kurzzeitig Teilhaber ihrer Sorgen, Probleme, Gedanken.

Sie begleiten mich ein Stück des Weges und dann schicke sie mit einem Lächeln in die Weite der Ostsee. Denn zum Schmunzeln ist mir oft, so am Vorbeilaufen.

Alles dreht sich um…

Begegne ich einer Gruppe Fastenwanderer, drehen sich die Gespräche um Kochrezepte, Freundinnen unterwegs im Wald werten den letzten Besuch der anderen Freundinnen aus, Männergruppen erklären sich gegenseitig ihr ultimatives Geschäftsmodell, Schulklassen erzählen sich Witze, bei denen sich mir die Haare zu Berge stellen. Am Interessantesten sind Ehepaare. In diesem Fall verringer ich immer – aus Rücksicht, versteht sich – meine Laufgeschwindigkeit.

Die Männer gehen immer, wirklich immer, voran. Ihre Gesprächsthemen sind (auch immer) die aktuelle Politik.

Die Ehefrauen folgen im Sicherheitsabstand. Bei ihnen dreht es sich ausschließlich um – na? – um Jene, die vorangehen.

Und so höre ich dann, und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, bei der ersten Fraktion: „…das ist doch wieder kompletter Blödsinn, was der da so öffentlich als Politiker…“ Und wenige Schritte weiter bei den Damen: „…Martin, sage ich ihm, zum wiederholten Male sage ich, Martin…“. Und bin vorbei. Schade. Martin, das weiß ich, hört auf diesem Ohr seit Jahrzehnten nicht mehr.

Und so begreife ich den uralten Gedanken des „Waldbadens“ neu. Eine Reinigung der Gedanken, ausgesprochen und abgelegt im Wald, Befreiung Schritt für Schritt. Einfach zu erledigen, feine Sache. Da braucht es keine großen Worte, kein Psychogramm, keine fachspezifischen Anleitungen: Geht wandern Leute, und lasst die Gedanken los, ihr fühlt euch, wie frisch gewaschen. Eben mal im Wald gebadet.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!