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Wanderer zwischen beiden Welten

Blogger 19. Januar 2019Juni 4th, 2019Inselgeschichte(n), Rügen-Blog, Rügen-Urlaub, Streifzüge

Was manchmal geschieht – Gegensätze auf engem Raum

Bin ich der Wanderer zwischen beiden Welten? Eher nicht. Mit dieser autobiographischen Novelle von Walter Flex, aufgeschrieben vor 1916 und in Verarbeitung der Erlebnisse des ersten Weltkrieges, verbindet mich lediglich der Titel und mein etwas hilfloser Gedanke um Gegensätzliches, was zeitgleich geschieht.

„Der Grieche“ – Restaurant in der Stadt Bergen auf Rügen

Unsere Stadt Bergen auf Rügen, Verwaltungssitz des Amtes und Hauptort der Insel, ist mitnichten ein Mekka für Partygänger. Nein, da steppt nirgends der Bär. Da haben es selbst gemäßigte Ansprüche schwer, nach 19 Uhr eine Lokalität zu finden, in der man sich gesellig zum Abend niederlassen möchte.

Leichter haben es die, mit richtig großem Hunger. Die müssen nicht lange suchen, denn es gibt ja den „Griechen“ und dort bekannter Weise auch richtig viel zu futtern. Also, nix wie hin. Nun muss der geneigte Leser wissen, dass diese Lokalität in ein sehr schönes und altes, gutbürgerliches Wohnhaus installiert wurde. Was aber macht ein Restaurantbesitzer aus Griechenland in einem sehr norddeutschen Wohnhaus besserer Güte mit seiner Geschäftsidee?

Nun, er macht aus der ahnungslosen Wohnung eines Verwaltungsangestellten um 1910 eine griechische Höhlenbehausung, eine Kaverne mit Kalksteinwänden und Tropfsteinaushöhlungen. Was diese lebendige und unruhige Wandgestaltung für Konsequenzen für den Besucher hat, erfährt er spätestens dann, wenn sich die Lokalität füllt. Und das macht sie schnell und gründlich bis auf den letzten Platz. Tatsächlich – in wenigen Minuten passte keine Maus mehr zwischen Küche und Tresen.

Die schwitzende, vollbeleibte Bedienung schleppte flink und unermüdlich Fleisch-Tzatziki-Salat- und Pommesberge durch das griechische Höhlengebäude zu den Hungernden. Die hatten sich lückenlos verteilt und schaufelten und schwatzten, was das Zeug hielt.

Alle Achtung, da wurden Portionen verdrückt, die einen Sumo-Ringer erblassen lassen würden. Und dabei wird ununterbrochen gequatscht. Zumindest scheint es so, der Schall in diesen griechischen Deko-Wänden wird so ungünstig gebrochen, dass es in den Ohren nur noch tobt. Wer, so frage ich mich, wer kann da essen und genießen? Nun, einfach nur mal umgeschaut: gefühlte sämtliche Einwohner der Bergener Bahnhofsstraße!

Benedix-Haus am Markt – Szenenwechsel in eine andere Welt

Jetzt Szenenwechsel – die andere Welt: denn die Futterage war nur der erste Teil des Abends, der noch eine kulturelle Überraschung parat hatte.

Die Stadtinformation Bergen im Benedix-Haus am Markt hatte eingeladen zum „Konzert im Wohnzimmer“. Wie simpel sich das anhört. Wie klein, bescheiden und unauffällig. Und vor den wenigen Stuhlreihen am Veranstaltungsort, dem „Wohnzimmer“ steht dann ein ganz Großer seiner Zunft: Markus Segschneider, hands at work.

Angekündigt mit dem gemütlichen und harmlosen Wohnzimmersatz: „Jedes der Konzerte ist ein Erlebnis der besonderen Art“. Und ob! Als der Meister virtuos an seiner Gitarre loslegt, bleibt uns die Luft weg – was ist das denn, wie kann man derart Gitarre spielen?

In sauberer Klangfülle, mit fast klassisch schönem Ton auf Stahlsaiten scheint es keine Grenzen zu geben für das, was Markus Segschneider mit und auf seiner Gitarre anstellt, ob Jazz, Folk, Pop, – jeder Ton landet perfekt by hands at work.

Es ist unglaublich, dieses Gitarrenspiel ist einmalig, wir sitzen wie gebannt. Und dazu kündigt der Künstler sich und seine Musikstücke selber an, locker, verschmitzt, ein wenig befangen. Was den Gegensatz von diesem großen Bengel, der da vorne steht, zu seiner musikalischen Kunstfertigkeit noch deutlicher werden lässt. Ja, hier spielt ein Könner.

Und im kleinen Zuschauerraum sitzt eine Handvoll Menschen, betreten, ob der Stuhlleere rundum, locker verteilt. Sitzt und staunt. Kaum mehr als 10 Zuschauer, mehr oder weniger zufällig gelandet im „Wohnzimmer-Konzert“ in Bergen.

Und Markus Segschneider, ansonsten ein Vielhundertpublikum gewöhnt, spielt Gitarre für dieses, wie verloren herumsitzende Publikum, das selber kaum fassen kann, was passiert.

Und ich denke an das griechische Lokal, nur 300 m weit entfernt, in dem sich die Menschen drängeln, als wäre es der letzte Tag, und das flaue Gefühl seit der griechischen Futterage will nicht besser werden und ich weiß: „Hier stimmt etwas nicht“. Ich denke an E.T.A. Hoffmann, an den „Wanderer zwischen den Welten“, der als großer Fantast der deutschen Literatur die Welt nicht nur als eine Bezugsgröße der Raum – und Zeitdimensionen verstand.

Der kannte sich aus im Panorama der Welt – und Lebenserfahrungen, Bewertungen und Maßstäben, der sah verschiedene Welten im Plural und doch in Gesamtheit. So, wie auf kleinstem Raum, in einer Inselstadt, nur wenige Meter voneinander entfernt ein Panorama an Welten entstehen und vergehen kann. Und was bleibt? Die Gewissheit der Gegensätze.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!