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„Wenn das Auge das Herz berührt“

Blogger 30. September 2018März 4th, 2019Familiengeschichte, Jagd, Rügen-Blog

Vorwort: Mein Bruder Olaf, der Förster

Mein Bruder Olaf, der Älteste in der Jungenriege, wurde bereits im zartesten Kleinkinderalter von seiner großen Schwester im Wald abgelegt – weil er nicht mehr laufen konnte / wollte.

Zufrieden mit Moosboden und Graskissen, zugedeckt vom verbuschten Dünenwald, schlief er ohne zu Zögern ein – von Angst keine Spur.

Dieses frühe Kindheitserlebnis muss prägend gewesen sein, von nun an war der Wald sein Zuhause.

Für unsere Mutter hatte das etwas Beruhigendes, immerhin wusste sie, wo er zu finden war und das war in jedem Falle nicht am Wasser. Ertrinken konnte dieses Kind nicht.

Mit dem Wissen um Bäume, Wildspuren und Vogelstimmen wuchs die Abneigung gegen freifließendes Wasser. Schwimmen lernte der Bengel erst, als der Vater ein Machtwort sprach.

Das war sehr, sehr spät für ein Kind der Insel Rügen.

Selbst zum Kinderfasching ging er permanent und nachdrücklich jedes Jahr als – na? – als Förster.

Ausbildung zum Waldforstarbeiter

Als seinem Berufswunsch, Förster zu werden, der Ausbildung zum Waldforstarbeiter sozialistische Planungsaufgaben entgegengesetzt wurden, heißt, derzeit keine Lehrstelle verfügbar, blieb er vorsorglich erst mal sitzen. Er verweigerte das weitere Lernen, weil es ja nun, wenn er kein Förster werden kann, sowieso keinen Sinn mehr machte.

Das wiederum brachte meinen Vater, der als Berufsschullehrer kein höheres Ziel kannte, als jungen Menschen Bildung angedeihen zu lassen, auf den Plan.

Zack, hatte der bockige Olaf seine Lehrstelle.

Von nun an ging alles seinen sozialistischen Gang.

Unvergesslich ist mir sein erster Auftritt in Försteruniform. So holte er mich, die kleine Schwester, von der Schule ab. Das war nicht weiter spektakulär, ganz Sellin kannte Olaf, den Waldläufer.

Nur sein Hütchen, ein flottes Jägerhutmodell, mit Feder dran, das war mir dann doch peinlich.

So ist mein ältester Bruder ein Förster geworden, ein Kenner aller Vögel, ein verantwortungsvoller Pfleger des Waldes, ein Hüter der Tiere. Bis heute kochecht grün bis aufs Blut.

Und vielleicht ein Letzter seiner Art.

Waldmensch ein Leben lang

Rundherum Ostsee und der Greifswalder Bodden, hier das Flair modernster Badeorte, dort stille Buchten und schilfbewachsenen Innenwieken. Schroffe, hohe Steilküsten und sanfte Wiesen, das alles ist Rügens Küste. Und um den  Inselkern herum, um das Muttland mit der Stadt Bergen und dem Gesundheits- und Verwaltungszentrum liegen die fünf Halbinseln.

Im Norden die Halbinsel Wittow, das Windland. Flache Landwirtschaft und Arkona.

Seit Jahren in Rente, zog es den alten Waldmenschen mal wieder an seine Wirkungsstätte, in die Granitz zwischen Sellin und Binz. Er nahm sich ein Fahrrad und fuhr alle Wege, Plätze und Wälder aus seiner Ausbildungszeit vor über 50 Jahren so gründlich, wie es der Zahn der Zeit zuließ, ab.

Er fuhr tagelang, immer andere Routen und er wurde immer stiller.

Wortlos stellte er das Fahrrad danach zurück, fuhr heim an seinen großen, alten Schreibtisch und öffnete den Gedanken an das Gesehene, Erlebte, Vergangene weit die Tür. Und schrieb auf, wie das Försterherzblut aus der Feder floss, mit Kennerblick zurück, mit fachlichem Weitblick voraus.

Jeden Satz so, wie er aus der Seele kam.

Wir haben uns entschlossen, diesen Blick nicht zu korrigieren, nein, hier wurde nicht lektoriert.

Wir lassen ihn so individuell, wie er aufgeschrieben wurde: nicht ausgewogen und rund, sondern so holprig, wie das Leben selbst und so ungefällig, wie die Wahrheit manchmal sein kann.

Lest diesen Bericht von Einem, der auszog, „seinen“ Wald zu suchen…

Gedanken eines Waldmenschen:
„Wenn das Auge das Herz berührt“

Die Granitz – ein Waldgebiet im Wandel der Zeit

„Broooohhh“ – röhrt die starke, laute Zweimannmotorkettensäge und ihr scharfes Sägeteil frisst sich rasch in das gelb-rötliche Holz der 150-jährigen Rotbuche.

Trotz des enormen Durchmessers stürzt der Waldriese nach 30 Minuten, schwächere Bestandsmitglieder mitreißend, zu Boden.

Anschließend beginnt die Aufarbeitung der Bäume in die verschiedenen Sortimente, denn die DDR-Wirtschaft braucht viel Holz.

So geschehen in den 50-er bis 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Bereich der Revierförsterei Lancken-Granitz auf der Insel Rügen mit Sitz in Blieschow. Wir, zeitweise bis zu acht Waldarbeiter des Reviers, von denen ich der Jüngste und zugleich Einzige mit einer regulären Facharbeiterausbildung war, tätigten neben dem Holzeinschlag auch sämtliche anderen forstlichen Arbeiten, auf die ich später noch eingehen werde.

Der ca. 4000 Festmeter Jahresplan, den wir zurecht sägten, produzierten wir nicht nur – wie heute oft ketzerisch behauptet wird – per Kahlschlag, sondern überwiegend im Durchforstungsmodus. Natürlich mussten erntereife Bestände und solche, die durch Kriegsschäden stark verlichtet waren, also ihren noch wirtschaftlich-produktiven Bestockungsgrad weit unterschritten hatten, über den Kahlschlagsbetrieb in leistungsfähige Wiederaufforstungen umgewandelt werden. Hier boten sich zwangsläufig die schnellwachsenden und auf Freiflächen leichter zu kultivierenden Baumarten Lärche und Douglasie an.

Sah es in den 60-er Jahren nach einer vorratspfleglichen Buchenbewirtschaftung aus, so kippte diese Methode ab 1970 leider mehr zum Kahlschlagbetrieb.

In diesem Zusammenhang möchte ich nachdrücklich verweisen auf die 3 bzw. 5 oder auch 8 Hektar umfassenden jüngeren Buchenareale, teilweise in Buntmischung mit Bergahorn, welche wir seinerzeit über den heutzutage etwas verpönten bzw. abgelehnten Großschirmschlag ins Leben gerufen haben.

Gut, wichtig und interessant, wenn auch schwer, war die Arbeit in dem herrlichen Waldrevier. Wir waren eine leistungsstarke und kollegial integere Brigade!

November 1963: Wir pflanzten gerade einen Stieleichenbestand in der Nähe des Waldortes „Finnischer Krieger“ als wir mit Betroffenheit erfuhren, dass J. F. Kennedy erschossen wurde. Seltsamer Moment des Innehaltens, wenn die ferne Welt nahe rückt.

Doch unsere Arbeit ging weiter. Wir bauten Zäune, um Junganpflanzungen vor Wildschäden zu schützen, pflegten Jungbestände, räumten Gräben frei und bereiteten die „Weihnachtsbaumernte“ vor.

Sämtliches von uns eingeschlagene Dünn- und Kurzholz wurde von unseren vierbeinigen Helfern, einem Pferdedoppelgespann, umweltschonend gerückt.

Permanenter Ersatzteilmangel und hohe Pannenanfälligkeit unserer, mit dem heutigen technischen Stand verglichenen, archaisch anmutenden Kettensägen, hemmte oft unseren Arbeitsfluss.

Für aufschreckende Ereignisse sorgte manchmal der „Rasende Roland“, wenn er durch Funkenflug kleinere, schnell zu löschende Böschungsbrände entfachte.

Ja, manchmal waren wir auch ein Einsatz als Feuerwehrmann!

Auch damals schon war das Jagdschloss ein Besuchermagnet. 1964 sägten wir die Zufahrtsstraßen von Binz sowie vom Torhaus Blieschow von bedrängenden, mächtigen Bäumen frei. So stellten wir das Lichtraumprofil her und gewährleisteten an den Straßen die Verkehrssicherheit.

Mehr als zwei Jahre zogen so ins Land, dann holte mich der Militärdienst „zu den Fahnen“ und anschließend die Ingenieursschule für Forstwirtschaft zum Studium nach Schwerin. Leider riss zu diesem Zeitpunkt der direkte Kontakt zu meiner Arbeitsstätte in der Granitz ab und nie wieder sollte ich als Förster im Dienst auf meine Insel Rügen zurückkehren.

39 Jahre aktiver Forstdienst in Mecklenburg liegen hinter mir. Davon über die Hälfte als Revierförster und noch weitere 15 Jahre als leitender Mitarbeiter in den Forstämtern des Landes, welche Herz und Verstand mit Sachkenntnis und Erfahrung für die heutigen Aufgaben der Forstwirtschaft und des Naturschutzes sensibilisiert haben.

Dennoch ist der Kontakt nie ganz abgerissen. Alljährlich immer Anfang Mai führen mich „Privatexkursionen“ zurück auf die Insel Rügen, zurück zur Granitz.

In ihrer, etwa 1100 Hektar großen, bekannten Struktur haben sich gravierende Veränderungen ergeben: seit 1990 die Unterschutzstellung zum Naturschutzgebiet im Rahmen des Biosphärenreservates Südost-Rügen erfolgte und ab 2000 die Flächen durch den Landschaftspflegeverband Ostrügen e.V. von der BVVG erworben wurden, trägt die plenterartige Bewirtschaftung des buchendominanten Laubmischwaldes als neue Form einer naturnahen Waldentwicklung Früchte.

Allerdings sind flächenbildende, leistungsfähige Buchen-Naturverjüngungen „wie aus einem Guss“ doch eher Stückwerk und eine Ausnahmeerscheinung.

Dem aufmerksamen Waldbesucher kann nicht entgangen sein, dass an den Waldwegen als aufbereitetes Holz generell nur Nadelholzpolter stehen.

Ich möchte davor warnen, die Douglasien-, Lärchen- und Fichtenbestände (Küstentanne ausgenommen) fast auszumerzen.

Ist der klassische Werdegang, außer über die Eiche auch über Kiefer & Co. durch unterbauartigen Voranbau wieder zur Buche zukommen, völlig in Vergessenheit geraten oder nicht mehr gewollt? Nicht alles gelingt über die Naturverjüngung, was mir ein devastierter Forstort zweifelhaft signalisiert!

Zu einem touristisch erschlossenen Naturschutzgebiet gehören auch Nadelbäume, welche der Biodiversität dienlich sind. Es sollen doch auch der Fichten-Kreuzschnabel, die Tannenmeise, das Eichhörnchen und auch die nur im Nadelwald vorkommenden Pflanzen eine Überlebenschance haben.

Weiterhin ist die beeindruckende Wuchsleistung der Douglasie zu beachten. Ich habe in zwei Abteilungen respektvoll vor starken, annähernd 30 m hohen Exemplaren gestanden, an welchen ich vor einem halben Jahrhundert die Jungbestandspflege praktizierte. Unsere Nachkommen sollen sich doch auch an diesen gigantischen, walzenförmigen Riesen erfreuen können.

Das Foto mit Fahrrad zeigt einen Bestand europäischer Lärche, den wir vor 50 Jahren unweit der damaligen „Waldhalle“ bei Sellin pflanzten. Etwas wehmutsvoll habe ich an den Stamm geklopft – vielleicht wurde gerade dieser kräftige Bursche vor langer Zeit durch mich als kleiner Schössling in die Erde gesetzt. Leider ist der Bestand etwas verlichtet, die vorhandene Stammzahl sehr gering.

Zur Nutzung im Laubwald muss gesagt werden: Selbstverständlich kann ein hoher Totholzanteil vorhanden sein. Aber wertvolle Einzelstämme, von denen sich pro Festmeter mehrere tausend Euro erlösen lassen, müssen genutzt werden! Dabei wird das Gelände bei Weitem nicht derart verunstaltet, wie durch diesen rigorosen Einschlag in den mittelalten Nadelholzbeständen.

Nach meiner Einschätzung könnten noch jährlich beträchtliche Summe aus dem Holzverkauf kassiert werden. Sind aber diese Nadelholzpotenziale aus unserer Begründung und der Zeit davor total geschrumpft, fährt die Nutzung und das damit verbundene Ergebnis stark gegen Null.

Meine Anmerkungen in eigener Sache aus jahrzehntelanger Verbundenheit:

  1. In einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet etliche Flächen (Wege) mit Beton und Asphalt zu versiegeln, stößt sicherlich auf geteilte Meinungen. Dem Antlitz der guten alten Granitz jedoch schadet dies eher.
  2. Der tonnenschwere alte Stahlgittermast am Standort der ehemaligen „Waldhalle“ bei Sellin wird inzwischen sicher demontiert worden sein, bevor er mitsamt dem gewichtigen Betonfundament über die Klippen geht!
  3. Für Zweifler oder Spötter: Die Ortsbezeichnung „Ochsenberg“ bei Sellin entstand ausschließlich deshalb, weil bei Langholztransporten starke Hornviecher zur Erhöhung der Zugleistung eingespannt wurden.

Abschließend wünsche ich den Protagonisten des Landschaftspflegeverbandes ein gutes Gelingen bei der Umsetzung ihrer Ziele im Sinne der Nachhaltigkeit zur Entstehung eines artenreichen, betriebssicheren Naturwaldreservates.

Olaf Pfau, Jarmen – Rügen

Nachtrag

Der Beitrag über meinen großen Bruder, dem Förster aus Leidenschaft und Berufung, war noch nicht kalt, da klingelte in der Blog-Redaktion das Telefon. An der „Strippe“ der Waldmensch mit einem sehr plausiblen Anliegen:

„Ich bin doch nicht nur Waldarbeiter, ich lebe nicht nur für die Bäume, ich bin doch ein Förster! Der Wald und die Tiere, diese Einheit ist mein Leben! Wo bleiben die anmahnenden Worte zur Jagd?“.

Na, dann man zu. Und umgehend kam folgender Nachtrag vom Förster, von Einem, der noch viel mehr zu sagen hätte. In Verantwortung an seinen Beruf und im Anspruch, seine Lebensaufgabe als Ganzes zur Sprache zu bringen.

Einige Bemerkungen zur Jagd

Ebenso wie in regulären Wirtschaftswäldern muss auch in Gebieten mit Schutzstatus die Jagd dem Biotop angepasst- ausgeübt werden.

Will man weitestgehend auf Zaunbau zum Schutz der Jungpflanzen verzichten, ist es unbedingt wichtig, dass eine vertretbare Wilddichte beim Schalenwild (außer Schwarzwild) gehalten wird.

Weder der Wald noch das Wild dürfen die dominierende Rolle spielen, sondern es muss heißen: Wald und Wild im einheitlichen Ganzen!
Trotz mancher widersprüchlicher Meinungen sollten die invasiven Arten (Marderhund, Waschbär, Riesenbärenklau etc.) scharf bejagt bzw. bekämpft werden.

Biografie: Olaf Pfau / Dipl.-Forstingenieur (FH) aus Jarmen

  • Jahrgang 1944
  • Geburtsort: Stutthof (Sztutowo) bei Danzig (Gdańsk)
  • 1945 im Januar: Flucht der Mutter mit mir und der 4-jährigen Tochter bis nach Gager / Rügen
  • 1953 Umzug nach Sellin, hier Abschluss der Zehnklassigen Polytechnischen Oberschule 1961
  • 1961 – 63 Lehre zum Forstfacharbeiter (heute gen. Forstwirt) Bad Doberan
  • 1963 – 65 tätig im Revier Lancken-Granitz
  • 1965 – 67 Wehrdienst
  • 1967 – 70 Studium der Forstwirtschaft in Raben-Steinfeld / Schwerin
  • bis zum Beginn im Ruhestand 2009, Tätigkeiten in den Staatlichen Forstbetrieben Neustrelitz, Malchin und Waren, sowie in den Forstämtern Wredenhagen und Mirow
  • seit 45 Jahren verantwortungsvoller Jäger

Das denkt Ihr: Ein Kommentar

  • Olaf sagt:

    Wenngleich ihr den Wortlaut meines Manuskriptes etwas „ frisiert“ habt, so ist der Artikel inhaltlich und gestalterisch gut gelungen.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns! to Olaf