Skip to main content

Das Zauberbeil vom Förster

Vorwort: Holzpilze und Zauberbeil

Mein Försterbruder hat ein ganz besonderes Verhältnis zum Wald und seinen Tieren, ich glaube manchmal, er kennt jeden Baum mit Namen. Seine berufliche Verantwortung geht bis ins Detail, sozusagen bis in jede Blattspitze.

Aber, dass seine Affirmation als Holzwurm ihn auch künstlerisch tätig werden ließ, das hat denn doch so manchen verblüfft.

Und als die Zahl der geschnitzten Holzpilze nicht mehr aufgerechnet werden konnte, sagte ich zu ihm: „Nun mach mal etwas Brauchbares, ich zum Beispiel könnte einen anständigen Hocker fürs Freiland gebrauchen. Ich verbiege mir beim Jäten sämtliche Rückenwirbel!“.

Noch gar nicht ganz ausgesprochen, hatte ich ihn. Von wegen „Hocker“ – das war ein astreines Sitzmöbelstück mit Lehne.

„Dunnerlichding“, wunderte ich mich – „kannst du zaubern?“. „Ich nicht“, antwortete mein Försterbruder, „aber mein kleines Zauberbeil!“. Und da haben wir sie wieder: die Geschichte, die das Leben schreibt.

Kuriositäten aus der Biografie eines Werkzeugs, aufgeschrieben vom Förster daselbst

„Es war Winter in Vorpommern, und wie alljährlich ist die Weihnachtsbaumkampagne die letzte große Arbeitsspitze vor Jahresende im Forst.

Außer einiger Hundert Fichten und Kiefern für die umliegenden Gemeinden bekam ich den Auftrag, 800 Kiefern für die Stadt Borna, bei Leipzig, zu liefern.

Zu diesem Zweck bestellte ich mir einen ehrenamtlichen Forstschutzhelfer an den Waldort „Dachsburg“, um die geeigneten Flächen für den Schmuckbaumeinschlag zu inspizieren. Bei leichtem Schneefall – der Wald sah sehr romantisch aus – streiften wir am Dickichtrand entlang und legten unseren Maßnahmenplan fest.

Doch plötzlich stutzte ich – was war das denn?

Auf dem Waldboden, im frischen Schnee, zeichnete sich deutlich der dunkle Umriss eines kleinen Beiles ab.

„Weihnachtsbaumdiebe“ schießt es einem Revierförster sofort durch den Kopf, denn die Landbevölkerung holt sich ihren „Boom“ immer noch gern selbst aus dem „Busch“. Die schon leicht verwischten Spuren führten bis an den Waldweg, der zum nahen Dorfe führt. Ganz offensichtlich waren die Übertäter Hals über Kopf geflohen.

Nun, das Äxtchen ging in meinen Besitz über. Das handliche, kombinierte Spalt- und Nagelwerkzeug begleitete mich fortan stets bei meiner Reviertätigkeit und lag auch sonst immer griffbereit im Kofferraum meiner Autos.

Ärger beim Besuch auf Rügen

Etliche Jahre später, ich war längst zur Bewirtschaftung eines großen Forstkomplexes südlich der Müritz versetzt worden, verschlug es mich mal wieder auf Besuchsreise in die alte Heimat, zur Insel Rügen.

Mit meinem kleinen Suzuki-Geländewagen befuhr ich eines Tages langsam die schmale Holzbrücke über die Having bei Seedorf. Etwas seltsam und irgendwie missbilligend schauten mich die wenigen Passanten an und ich merkte – hier stimmt etwas nicht. Aber, noch bevor ich dieses mulmige Gefühl in Tat umsetzten konnte, stand eine Dame in respektierlicher Pose und mit feindseligen Blicken vor dem Auto, neben sich, nicht weniger furchteinflößend, die norddeutsche Variante vom Hund von Baskerville. Durch heftige Bullerschläge an die Karosserie versuchte die Dame, auch den Pkw zu erschrecken.

Bremsen und Rausspringen war das Werk von Sekunden – was war passiert?

„Wenn Sie nicht gucken können, gehen Sie mal zum Augenarzt, diese Brücke ist nur für Radfahrer und Fußgänger erlaubt“, schnaubte mein Gegenüber, „und wenn Sie nicht sofort verschwinden, lasse ich Harras los!“.

„Entschuldigen Sie“, stammelte ich, „ich habe wohl das Verbotsschild übersehen.“.

Und das Tier mit dem gewaltigen Schädel grub seine wölfischen Reißzähne gedanklich schon in meinen Oberschenkel.

„Mein Gott“, dachte ich, „wie kannst du das hier bloß überleben?“. Denn das wildgewordene Weib nestelte schon am Halsband des Vierbeiners, als mir blitzartig meine „Dienstwaffe“ im Kofferraum des Autos einfiel.

Mein Lebensretter: das Zauberbeilchen

Kurzschluss in Überlebensangst, anders kann ich mir meinen Einsatz nicht erklären, denn das Zauberbeilchen herausreißen, in der Hand herumwirbeln und in Abwehrhaltung gehen, war alles eins. Und mit sich überschlagendem Puls, aber möglichst fester Stimme, sagte ich: „Na, dann machen Sie den Hund mal los – auch wenn es mir leid tut um das Tier, aber wenn ich mich jetzt verteidigen muss, wird der Hund verlieren!“.

Mit vernichtendem Blick auf mich, sprach sie zu ihrem Bodyguard: „Komm Harras, das ist ein böser Kerl“ und verschwand in entgegengesetzte Richtung.

Zurück blieben mein Lebensretter, das Zauberbeilchen, ich mit zitternden Knien und dem Vorsatz, zukünftig aufmerksamer zu sein.

Jagdaufseher im Revier des Müritzkreises

Ein ganz besonderes Erlebnis mit dem Beil hatte ich wenig später in einem Revier südlich des Müritzkreises. Dort hatten Jagdpächter aus dem Emsland ein riesiges Areal erworben, das alljährlich durch Rotwild und überhöhte Schwarzwildbestände –und so durch immense Wildschäden an Weizen-, Raps- und Kartoffelschlägen –heimgesucht wurde. Da diese Jagdpächter nur sporadisch jagdaktiv werden konnten, bat man mich, ehrenamtlich, mit freier Büchse, dort als Jagdaufseher vor Ort zu fungieren.

Ich schaffte es auch binnen zweier Jahre durch verschiedene Mechanismen, und zusammen mit den Weidgenossen, die landwirtschaftlichen Sanktionen deutlich günstig zu beeinflussen!

Blinder Damhirsch und keine Jagdwaffe mit

Im Spätherbst liefen die Vorbereitungen für die regulären Drückjagden auf Hochtouren. Ich war mit einem Jagdhelfer unterwegs, um in dem ausgedehnten Jagdrevier noch einige Schützenstände zu markieren. An einer Waldkante kam uns in einiger Entfernung ein schwächerer Damhirsch, mit für uns günstiger Windrichtung, entgegen.

„Verdammt!“, entfuhr es uns beiden „Keine Jagdwaffe mit!“.

Unterdessen war das Wild, genüsslich die von den Randbäumen gefallenen Eicheln aufnehmend, bis auf 60 Meter an uns herangekommen.

„Ja, sieht er denn das Auto nicht?“, war unser verblüfftes Flüstern und im scharfen Focus unserer Jagdgläser offenbarte sich die Ursache: beide Lichter (Augen) des Tieres waren völlig blaugrau vernebelt – der Damhirsch war stockblind!

Uns war beiden klar, dass dieses Tier in nächster Zeit verhungern oder verunfallen würde und wir etwas tun müssten – doch was und wie?

Da hatte ich die zündende Idee – mein Zauberbeilchen musste her.

Auf Indianersohlen schlich ich, nun mit meinem kleinen Beil bewaffnet, dem Damhirsch entgegen. Der Wind kam mir steif frontal entgegen, so dass mich das Tier weder hören noch wittern konnte. 10 Meter, 8 Meter, 5 Meter – meine Nerven spannten sich und fest den Stiel meiner Waffe umklammernd, visierte ich den Genickwirbel des Todgeweihten an.

Dieser wiederum ließ sich beim Eichelsuchen nicht stören, sein gesenktes Haupt bot sich dar für den Finalschlag. Jetzt stand ich fast direkt vor ihm, letzte Konzentration und dann sauste das Werkzeug nieder. Und „Krax“ machte mein Axtkopf und war fort. Sich Aufbäumen, auf der Hinterhand kehrtmachen und auf seiner Hinterfährte flüchten, all das absolvierte das Damwild innerhalb von Sekundenbruchteilen.

Ich stand erschüttert mit dem Stiel in der Hand da, was war geschehen?

Hirsch hat die Gefahr gespürt

Der Hirsch hatte instinktiv die Nähe der Gefahr gespürt und im entscheidenden Moment den Kopf hochgerissen. So traf der Beilstiel auf das dicke, runde Geweihende, der schwere Axtkopf folgte seinem physikalischen Gesetz, brach ab und machte eine Flugphase ins Dickicht. Ich folgte seinem Beispiel in entgegengesetzter Richtung, im olympiaverdächtigen Spurt dem strauchelnden Hirsch hinterher. Fast hätte ich ihn sogar erreicht! Obwohl sich dann die Frage gestellt hätte: „Was soll ich nun tun? Ihn niederringen?“. Aber, dann fing das Tier sich und verschwand im Wald.

Mein Weidgenosse nahm mich tröstend in Empfang und übergab mir, mit großem Erstaunen über das Erlebte, das Vorderteil meines Beiles.

Natürlich habe ich mir schnellstens einen neuen Stiel aus einem trockenen Robinienrohling geschnitzt, deshalb sieht das alte Beil am langen Ende so verhältnismäßig frisch aus!

Und natürlich wurde dieses Manöver umgehend mit den Jagdkameraden ausgewertet und zur erhöhten Wachsamkeit für den blinden Damhirsch angeregt, denn der Vorfall ging wie ein Lauffeuer durch die lokale Jägerschaft.

Und tatsächlich, schon wenige Tage später erhielten wir die Nachricht, dass ein schwacher Damhirsch – auf den alle Indizien passten – verendet aufgefunden wurde.

Wir haben nicht mehr versucht herauszubekommen, ob er an seiner Krankheit oder an einer Gehirnerschütterung gestorben ist, denn dann müsste diese Geschichte wieder von vorn erzählt werden…

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!