„Und wieder grüßt das Mittelalter“
Die kleinen Touren, dieses „Gucken übern-Tellerrand“ sind mir die liebsten. Vier oder auch fünf Tage einfach mal fix fort sein machen den Kopf frei, das Herze weit und geben ordentlich Futter für anderes Denken. Noch dazu, dass mir das Reisen per DB ausgesprochen kostengünstig nahegelegt wurde.
So schnell stand noch nie meine Reisetasche in den Startlöchern. Wohin? Keine Frage, denn mein Museologen-Herz schlägt immer noch für das Mittelalter, also ab nach Goslar in den Harz.
Angekommen in der Stadt Goslar
Meine Gastgeberin für die Ferienwohnung in Goslar freute sich auf mein Kommen und gab mir Gottes Segen mit auf den Weg. In der Hoffnung, dass der auch für die Deutsche Bahn gilt, machte ich mich auf den Weg in den Harz. Alles lief wie am Schnürchen. Eine mitleidige Studentin geleitete mich Orientierungsmuffel auf den richtigen Weg. Und dann, ja dann war ich in einem alten Märchen aus dem Harzer Oberland.
Wie im Märchen
Das kleine Schieferhäuschen war von außen wie innen filmreif museal: Durch die Fenster grüßte jeder im Vorbeigehen, vom Bett aus konnte ich das bewohnte Vogelhäuschen beobachten, die „Abzucht“ rauschte ununterbrochen weise-leise und wenn ein Fußgänger den kleinen Steg benutzte, musste ich abtauchen, um nicht mit einem Grußwort bedacht zu werden.
An meinem ersten, noch ungeübten Morgen, ich hob just mein Gesicht vom Kopfkissen, hörte ich eine fröhliche Stimme vom Steg gegenüber: „Na, schon gewaschen?“. Und die Stimme meinte mich. Donnerwetter. Ganz fix ganz flach gemacht.
Goslars kleinstes Schieferhäuschen
Da saß sie, die Hausherrin von einem der schönsten, kleinen Schieferhäuser der Altstadt von Goslar, zentrumsnah und doch so romantisch am Bach der „Abzucht“.
Schön, weil einst von einem Schieferdachdecker-Meister erbaut und kunstvoll verziert. Romantisch, weil Bach und Brücken und Blütenkästen den Weg verzaubern. „Abzucht“, weil dieser Bachlauf, der oberhalb des Rammelsberges entspringt, die aus dem Berg abgeleiteten Grubenwasser aufnimmt und so seinen Namen (von „Abziehen“) bekam.
Und innen gemütlich, wie in Omas guter Stube. Herz, was willst mehr.
Mineralien-Weg durch Goslar
Zehn nicht zu übersehende, große Erzbrocken finden sich an den Straßen der Innenstadt. Sie sind eine Hommage an die innige Beziehung zwischen dem Bergbau-Gebiet Rammelsberg und der Stadt Goslar. Ihre Standorte sind gleichzeitig kulturhistorisch bedeutsame Stätten dieser Zusammenarbeit.
Stadtmuseum von Goslar
Gleich mein erster Weg führte mich zum Stadtmuseum von Goslar. Das hätte ich lassen sollen. Von außen ein imposantes Gebäude, gehörte es doch zum erweiterten Areal des „Heiligen-Kreuz-Hospital“, war es nun aber weder ein museologisches Erlebnis noch eine Stätte der historischen Bildung. War nicht mal richtig museal, war einfach nur von vorgestern. Und so war ich dort die Einzige, die in alle Ecken kroch, um mehr zu erfahren, bis mir von all dem Alten schwummerig wurde. Das Fenster, das ich fix öffnete, um Luft zu bekommen, ist sicher immer noch auf.
Museales Handwerk und Kunst
Auf dem Weg zu einem typischen Bergmann-Haus (An der Abzucht Nr.17) 1865 erbaut und 2003 saniert, fand ich auch einen interessanten Lückenbau, den ich als „neu in alt“ bezeichnete und der mir ganz gut gefiel. Auch, weil gleich gegenüber die „Stuben-Galerie“ mit einer Ausstellungseröffnung lockte. Die Verbindung zwischen Harzer Fachwerkwohn-kultur und japanischer Druckkunst fand ich einfach beachtlich.
Abends nix wie hin, mindestens 60 Personen passen rein in die guten, winzigen Stuben. Alle wurden begrüßt von einer sehr ambitionierten Galeristin. Daneben, schüchtern die Künstlerin aus Japan, gefühlte 12 Jahre jung, stand sie in klobigen Lederboots vor ihren Druckgrafiken, die mitunter ihre Körperhöhe überragten. Und verblüffte total. Mystisch anmutende Szenerien aus Blüten, Bändern, Ketten, dramatisch verknoteten Händen – niemals Gesichter – in zauberhafter, alter Druckkunst nahmen den Betrachter sofort gefangen. Tatsächlich, alle standen raunend vor dieser intonierten Schwere, die mit Leichtigkeit daherkam und die Gedanken unmittelbar ansprach. Ich war fast die Letzte, die aus der Ausstellung ging und habe keine Sekunde bereut. Die Kleine hat`s faustdick hinter den Ohren.
Goslars Altstadt – ein Bilderbuch
Dem muss ich hier nichts hinzufügen, denn zur Stadt Goslar wurde bereits umfassend viel, wenn nicht gar alles gesagt. Ich konnte meine Routen anhand des Stadtplans, den ich mir sofort in der Stadtinfo besorgt hatte, bestens organisieren. Kreuz und quer durch das belebte Mittelalter, ein Haus immer schöner als das andere. Gewerke-Zentren und Straßennamen, wie die „Knochenbrecherstrasse“ oder das „Runenhaus“ (ehemaliges Gildehaus der Tuchmacher), durch die ich immer wieder zog, Reste der alten Stadtmauer mit Torfragmenten, immer wieder entdeckte ich für mich Neues in den alten Strukturen.
Wissen wohin
Unbedingt zu empfehlen ist gleich zu Beginn der Reise ein Besuch im Rathaus. In der dortigen Stadtinformation und ab in den Keller zur ausgezeichneten Ausstellung:
“Das Erzbergwerk Rammelsberg und die Altstadt von Goslar wurden 1992 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Am 1. August 2010 wurde auch die Oberharzer Wasserwirtschaft in die Liste des Kultur- und Naturerbes aufgenommen und erweitert damit die Welterbestätte "Bergwerk Rammelsberg und Altstadt von Goslar".”
Ich bin mehrmals dort unten in dieser Ausstellung gewesen, sie heilte mein vom Stadtmuseum angeschlagenes Museologenherz gründlich und sie ist ein absolutes muss für jeden Goslar-Reisenden.
Entdeckungen und Spurensuche in Goslar
Ein besonderes Erlebnis war die Entdeckung des Pfalzbezirkes, den man über die Königsbrücke erreicht und in dessen Zentrum sich das „Große Heilige Kreuz“ befindet, ein früheres Hospitalhaus dem Jahre 1254, jetzt mit Kapelle und wunderhübschen Kunsthandwerkerstübchen. Und einer knappen, einprägsamen Dokumentation, die den Leser staunen lässt, denn wer bei einem Hospital nur an Siechenlager denkt, liegt gründlich falsch: Hier wurde bereits vor Jahrhunderten der Gedanke an betreutes Wohnen geboren.
Jedes, wirklich jedes dieser 1500 gezählten Fachwerkhäuser ist irgendwie anders und besonders, hat seinen eigenen Schmuck, seine ganz individuelle Eingangstür und trägt – das hat mich am meisten amüsiert – eine alte, über Jahrhunderte geprüfte und für wahr befundene Lebensweisheit, einen Spruch, der zum Nachdenken (oder zum Entziffern) anregt.
Die Kaiserpfalz hat`s in sich
An diesem Platz kommt man nicht vorbei. Er zieht magisch an. Kein Wunder, war dieser romanische Palastbau bereits im 11. Jahrhundert Zentrum politischer Macht sowie Versammlungs- und Krönungsort der Kaiser und Könige. Das zeigt sich in umfassenden Ausstellungen zu Kunst, Kultur und den repräsentativen Hintergrund vom Werden und Vergehen ganzer Dynastien. Auf dem Weg durch die Stadt Goslar gaben das Stadtbild immer wieder den Blick frei auf den Oberharz und seine erbärmlich kahlen Berge, gruselig.
Im großen Versammlungssaal beeindrucken dagegen riesige Wandgemälde und machen den Besucher zum Winzling. Steigt man hingegen hinunter in die Pfalzkapelle ist man ganz alleine mit dem Grabmal Heinrich III. und seinem Herz, das hier beerdigt liegt und sehr menschlich emotional seine besondere Verbindung zu Goslar im Ausdruck haben soll.
Kaiserliche Würde und allzu Menschliches
Im Abgang spricht mich, inmitten der wüsten Kriegsmalereien, das Bildnis einer Alten an, die ganz sicher eine besondere Rolle gespielt hat damals… Was mich aber beeindruckte war ihr sehr präsenter und sehr gegenwärtiger Hallux am linken Fuß. „Also auch du und auch schon immer“, dachte ich, „Immer Weiber und immer links“, wenn einem das nicht zu denken geben sollte.
Natürlich ist in dieser Stadt, neben der überwältigenden Geschichte, auch an die Versorgung von Leib und Seele gedacht: überall gibt es in Goslar kleine Cafés, Snackbuden, Restaurants, Kneipen, Livemusik und natürlich Schuhgeschäfte.
Und so sah mich dann der späte Nachmittag zufrieden sitzend vor einem großen Eiskaffee am Markt, in Harmonie mit erwanderter und erlebter Geschichte, flankiert von dieser oder jener Einkaufstasche und in dem Bewusstsein, alles richtig gemacht zu haben.
Diese Momente sind unbezahlbar und nur zu empfehlen! Ab nach Goslar in den Harz.