Bock auf Biber – oder: Besuch bei Meister Bockert
Mein grünblütiger Försterbruder wurde 80 Jahre alt? „Nein!“, sagt er mir mit blitzenden Augen: „Ich habe keine Zeit, alt zu werden!“.
Gesagt, getan. Denn Familienfeier in allen Ehren – ist das letzte Glas geleert, der letzte Gast vom Hof, steht er schon wieder in Grünmontur, wie Gott ihn schuf, von Kopf bis Fuß gewappnet auf Begegnung mit der Natur.
Sein Revier findet sich in der Flusslandschaft Peenetal, ein einzigartiges Gebiet für seltene Pflanzen und Tiere, fast vollständig zum Vogelschutzgebiet für Seeadler und Seeschwalben erklärt worden.
Peenetal – Natur pur rund Jarmen
Herrliche Wanderungen an Flussläufen entlang oder Paddeltouren auf der Peene versprechen ein Naturerlebnis pur. Wir haben es ausprobiert, wir wissen: Stille und faszinierende Natürlichkeit, Felder, Waldinseln, Moorgebiete geben Flora und Fauna eine unverwechselbare Heimat.
Mich wunderte diese Stille ein wenig. Und für meinen Försterbruder fand ich diese sehr beruhigte Landschaft als zu langweilig, Naturidylle gut und schön – aber – er ist ja auch Wildhüter und Jäger, wo sind denn hier die Tiere?
Fragen kostet nichts. Denn: Ich habe ihn gefragt.
Ebenso gut hätte ich Karl Lauterbach nach Vorsorgemaßnahmen bezüglich Corona fragen können. „Tiere?“, guckt mich mein Bruder verständnislos an: „Ich beobachte sie jeden Tag, überall, in der Luft, im Wald, auf dem Acker, am Wasser.“.
Die Aussage „am Wasser“ fand ich witzig, denn das weiß ich genau, mit Angelei hat er nichts am Hut. Ach, der Waldmensch ertrug mich mit unendlicher Geduld: „Seeadler, Fischotter und Biber ohne Ende, hier gleich um die Ecke ist eine ganze Bibersiedlung am Wasserlauf, kann man alles ganz genau beobachten.“.
Unterweisung in Sachen Meister Bockert
Bibersiedlung beobachten? Gleich um die Ecke? Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Stiefel getauscht, Mütze her, Kragen hoch – ab ging die Fuhre.
Wir wissen: Jarmen liegt im Einzugsbereich der Peene, aber ein Bibereldorado? Und ob! Der Grünrock muss es wissen: Bäche und Abzugsgräben vom Peenelauf bieten den idealen Lebensraum für Biber.
Und tatsächlich. Nicht weit am Flusslauf entlang waren sofort die Spuren der Biberarbeit zu erkennen: Hell glänzten die abgenagten Äste, überall lagen Späne, eindeutig, hier tummelte sich Meister Bockert.
Unter fachkundiger Leitung meines Bruders wurden wir über den Alltag von Meister Bockert informiert. Der Biber fällt die Baumstämme sanduhrenförmig und dies aus unterschiedlichsten Gründen: Um an die nahrhaften, saftigen Knospen in der Baumkrone zu gelangen und um Dämme zu bauen oder um eine Biberburg zu errichten.
Aber warum bauen sie Dämme? Auch hier wusste der Waldläufer Bescheid: Um sich vor Feinden zu schützen, die bei sinkendem Wasserstand in ihre Baue eindringen könnten und um im Winter von ihren unter Wasser versteckten Holzvorräten zehren zu können. Aha. Wieder etwas dazu gelernt.
Biberspuren – Wunden in der Natur
Allerdings hat Biberleben auch andere Seiten, die bedenklich werden lassen: Dieses Nagetier kann locker in einer Nacht einen Baum von 30 bis 40 cm Durchmesser fällen. Wenn man davon ausgeht, dass hier eine ganze Truppe am Arbeiten ist, dann entsteht ein Schaden, den die Natur nicht so schnell geheilt bekommt.
Und so sah es auch aus, links und rechts am Wasserlauf der Peene. Wir konnten die Burgbauten ausmachen, Bäume und Astkronen lagen quer als Staudamm, an manchen Stellen war offensichtlich eine „Kreativwerkstatt“ entstanden, zeigte „Kunst in der Natur“. Und, darauf machte uns unsere Fachkraft aufmerksam, deutlich waren die „Trampelpfade“ von Ufer zu Ufer zu sehen.
Spätestens hier – das muss mal gesagt werden – schlich sich bei mir ein Gefühl von Respekt ein für dieses Arbeitervolk, für Planung, Organisation mit der sie ihre Ziele in die Tat umsetzen.
Möglich, dass dies schon anderen Besuchern so ergangen ist, denn zum allgemeinen Vergnügen schwamm in diesem Biberparadies eine lebensgroße Plasteente. Also doch Künstler. Nicht nur arbeiten, sie wollten es schön haben in ihrem Reich.
Nachtmusik mit Biberkellen
Auf dem Rückweg zeigte uns der Förster seinen Hochsitz in Nähe des Biberparadieses und erzählte davon, dass er in stillen Nächten hören kann, wie Meister Bockert und seine Gesellen am Arbeiten sind. „Sie wissen ja nicht, dass ich sie beobachte. Sie fühlen sich ungestört und sind emsig unterwegs. Aber beim kleinsten Geräusch sind die Biber sofort im Wasser verschwunden. Dann höre ich, wie der große, beschuppte und fischähnliche Schwanz flach auf das Wasser klatscht, er wird nicht ohne Grund ‚Kelle‘ genannt.“.
Wanderung im Peenetal bei Jarmen
Ich blieb einen Augenblick stehen, sah zurück in dieses Biberterrain und stellte mir vor, ich würde bei einer friedlichen Nachtwanderung auf 15, 20 oder mehr „Bockert-Kellen“ treffen, die im Finsteren aufs Wasser klatschen.
Ich weiß ja nun, was da gerade passiert, ich wurde informiert, wie aber reagieren Unkundige? Sie stehen schreckensstarr und glauben fortan an eine Heimsuchung durch den Weihermann, den Ober-Neck samt einer ganzen entfesselten Horde Nixen.
Und für diese Naturfremdlinge wird das vermutlich die letzte Nachtwanderung im Peenetal bei Jarmen gewesen sein.
Es geht eben doch nichts über einen Förster in der Familie.