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Baden bei Sturm auf Rügen

Blogger 4. November 2023November 26th, 2023Familiengeschichte, Göhren, Inselgeschichte(n), MV, Rügen-Blog, Rügen-Urlaub, Streifzüge

„Wer am Meer leben will, muss im Sturm bestehen.“

Alter Fritz (Worm), du Kenner der Menschen, der Wetterlagen und des Lebens auf Mönchgut – hast du auch mich gekannt? Mein Geburtstermin liegt in einem Monat, in dem – wie in jedem Jahr auf der Insel Rügen – die Natur tief durchatmet, alle Kräfte bündelt und mit voller Konzentration an der Startlinie zum 100-Metersprint in die Hocke geht. Nichts hält sie mehr auf. Volle Kraft voraus.

Dazu, so vermute ich, muss in jenen Stunden der „Wilde Jäger“ mit seiner Horde über Mönchgut gezogen sein: Brausende Winde, ächzende Bäume, Rufe wie Donnerhall, Naturgewalten pur. Hat etwa meine geplagte Mutter um Hilfe gerufen? Wenn ja, sie verhallten im Getöse, ungehört war sie auf sich alleine gestellt.

Das war von bleibender Wirkung.

Windsbraut oder Wilder Jäger?

Alles, wie gesagt, eine Vermutung. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass irgend so ein Sturmchaos bei meiner Geburt Pate stand. Immer, wenn es richtig orgelt ums Haus, wenn eine Sturmwarnung auf Rügen die andere jagt, wenn ich weiß, die Ostsee zeigt ihre schwarz-grünen Wellen, dann muss ich raus. Ab ins Getöse.

Nein, ich bin kein Beobachter, kein Glotzer in sicherer Entfernung, ich will dabei sein.

Mein Mann kratzt die Kurve zurück in gesicherte Bereiche, ich fliege weiter, seine Worte: „Bis hoffentlich bald, du Windsbraut“ im Ohr.

Und weil der Sturm die Wellen bis an die Hochufer jagt, weil sämtliche Abgänge umtost und bereits fortgespült werden, weil man dort am Ufer nicht mehr stehen kann hatte ich nur die Wahl: Entweder Flucht oder Angriff.

Tosende Wellen der Ostsee

Ersteres stand nicht geschrieben, damals, in meiner Geburtsstunde, als der „Wilde Jäger“… Na, ihr wisst schon. Also ein sicheres Plätzchen – steinbeschwert für meine Klamotten – gesucht und ehe ich zu Ende gedacht, stand ich splitterfasernackt in den tosenden Wellen der Ostsee.

Die freuten sich ebenso. Ihre Begeisterung riss mich in Sekundenschnelle von den Füßen und so sah mich dieser Sturmnachmittag am Strand auf allen Vieren und mit aller Kraft zurück an das Ufer krabbeln.

„Ich sehe was, was du nicht ahnst…“

Überflüssiger Weise sah das nicht nur der Strand, sondern auch ein älterer Herr, der sich mit seinem Hund – groß, schwarz und wasserscheu – mitten zwischen die aufgetürmten Baumstämme geflüchtet hatte.

Den hatte ich bei meiner Ankunft glatt übersehen.

Wer denkt denn auch an so etwas.

Da standen sie, wie vom Donner gerührt, sein Hund ebenso – starr vor Schreck mit vier weit auf­ge­rissenen Augen – und ich vermute, sie glaubten an eine mystische Erscheinung aus der Wasser­unterwelt.

Mitten im Sturm kriecht eine nackte Alte auf allen Vieren aus den tosenden Wellen.

Nein, er war nicht zu beneiden.

Das Ende seines Schockzustandes habe ich nicht abgewartet.

Meine Klamotten gerafft und ab im Sprint.

Meereslieder

Man kann das Meer nicht beschreiben, man muss es fühlen. Auf dem Heimweg musste ich lachen: Was mag der Herr mit Hund am Abend erzählt haben? Ob ihm jemand glaubte?

Und ich denke an den alten Heimatdichter Fritz Worm und an seine „Meereslieder“, die besagen, dass „jeder Spur bald schwindet von dem Meeresschaum, so wie auch im Leben mancher süße Traum.“.

Ja, die Mönchguter mussten im Sturm bestehen, viele Erzählungen sind über diese dramatischen Ereignisse geschrieben worden, und wer hier lebt, der weiß das, denn „Dat`s jo doch all ümmer so west.“ (Zitat aus: „Rügener Persönlichkeiten, Fritz Worm / v. Gabriela Risch, Bergen 2000).

Gedicht aus der Buchhandlung +Buch in Stralsund

Der Sund kocht heut im Becken,
angesagt: „Heftiger Sturm!“
Die ersten Wellen lecken genüsslich am Pegelturm.
Und lassen die Muskeln spielen und zeigen was gehen kann.
Sie könnten, wenn sie wollten, verschlingen Land und Mann.

Du Sturmgebraus, du wildes, wir kennen deinen Mut,
und bleiben auf den Füßen und halten uns den Hut.
Los!
Tobe! Strudel! Schäume!
Zeige deine Wut!
Wir wissen in zwei Tagen, bist du uns wieder gut.

(Uta Reichel / www.plus-buch.de)

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