Beobachtungen einer teilnehmenden Zuschauerin
Morgens, wenn der Sommertag auf Rügen so richtig Fahrt aufnimmt – so zwischen 9 und 9.30 Uhr – ist es am Strand von Göhren am Schönsten. Da ist man dann fast völlig alleine und es ist absolut egal, ob man sich am Hunde- oder am FKK-Strand oder am Zivilstrand in Nähe der Seebrücke lang macht.
Sommertag am Strand von Göhren
Noch – denn nur eine Stunde später werden die Bewegungsradien eingegrenzt. Aber, wie das am Strand so ist, es gibt fließende Grenzen. Da liegen dann nackte Hintern neben hundehaarigen Rücken und Strohhüte neben hechelnden Hundeschnauzen und langen Ohren.
Ich halte das nur kurze Zeit aus, ich muss lange vor Mittag weg hier. Nicht wegen der Sonne, man liegt ja vernünftig geschützt unterm Schirm, und auch nicht wegen der hechelnden Hunde, nein! Es ist die Fülle der Darbietungen zwischen Frauchen, Herrchen und Hund. Und die ist gewaltig.
Denn es beeindruckt, wie sehr man, in der Beziehung zwischen Mensch und Tier, den jeweiligen Charakter erkennen kann.
Mein Baby – mein Mops
Eine schwitzende Frau mittleren Alters zerrt ihren Bollerwagen durch den Sand und ich denke noch: „Holla, da spielt Mutti Rikscha für den verwöhnten Sprössling“, aber weit gefehlt. Aus dem Wägelchen herausgehoben wird ein Mops. Der bekommt seinen Liegeplatz mit Essbereich unterm Schirm. Frauchen liegt daneben, bemüht, ihre Extremitäten mit in den Schatten zu ziehen. Das gelingt nicht, der Mops liegt in der Küche… Frauchen wälzt sich ätzend von Seite zu Seite und ärgert sich.
Spielende Kinder am Strand
Spielende Kinder, die vorbei hopsen, stoßen an den Wassernapf vom Mops und selbigen um. Eine üble Schimpfflut lässt die Ostseewellen schwächeln.
Die Kinder ziehen kleinlaut ab – 1:0 für den Mops. Denkste – denn alles, was nicht unter den Schirm passt von Frauchens Masse wird bald die Sonne rösten. Das hat sie nun davon, denke ich, nicht ganz ohne Schadenfreude.
Bei der anschließenden Fütterung von Mund zu Schnäuzchen habe ich weggeschaut. Die Ohren konnte ich nicht rechtzeitig verschließen, um hören zu müssen, wie der Mops, als er etwas Strandsand zwischen die Beißerchen bekam, gerügt wurde: „Nein, nein mein Schätzchen! Nein – das ist richtig bäbä für den Kleinen!“.
Wo habe ich das schon mal gehört? Vor Jahrzehnten bei der Mütterberatung.
Einsamkeit am Ostseestrand
Oder der einsame, kleine Hund, so winzig und angebunden an einem Baum im Dünenwald. Zitternd hockte er im Schatten und jammerte. Ich schaute mich um – wo war die Herrschaft? In der Ferne zwei Gestalten am Meer entlang wandernd, hier das Tier.
Als sie sich näherten, sagte ich: „Ihr Hund hat sehr gebellt und gewinselt.“. „Ja“, sagten mir die beiden Fürsorglichen, „er hat Angst vorm Wasser!“.
Kein Kommentar.
Das Tier als Accessoires
Im Laufe des Vormittags kommt ein junger Mann an den Strand, der einen sehr sportlich-lässigen Eindruck macht. Sein Hund auch. Beide sind Prachtexemplare und man schaut gerne hin.
Sie machen offensichtlich eine „Spülsaumwanderung“ und ich denke: „Gut für das Tier.“. Es scheint eine Art edler Jagdhund zu sein, also eine Rasse, mit besonderer Nase und Riechqualität. Als sie wieder zurückkommen, höre ich scharfe Kommandos und merke auf. Aha, die beiden Edlen!
Der Hund wird straff an der Leine geführt und erhält alle zwei Meter den Befehl: „Nase hoch!“. Und das an dem gesamten Strand entlang.
Ich bin verblüfft – der Hund darf nicht schnuppern, seine legere Kopfhaltung versaut das Gesamtbild. Ja, gibt es denn so etwas? Doch, gibt es. So, wie man den Vögeln verbietet zu fliegen. Man sperrt sie in viel zu kleine Käfige oder legt sie an Ketten.
Was tun? Wegschauen?
„Man sieht nur mit dem Herzen gut“
Ich beobachte eine Familie beim „Spülsaumwandern“. Voraus geht Papa und erzählt seinem Sprössling, was er noch weiß, von Schiffen und dem Meer. Er macht dies sehr gut und voller Zuwendung. Einige Schritte hinter ihnen kommt Mama, sie hat das Handvoll-Hündchen an der Leine und versucht, das Tier noch länger zu haben, nämlich ungefähr 20 cm im Halsbereich. Denn der Hund ist bestrebt, eine sichere Distanz zwischen sich und dem Wassersaum zu bekommen und strampelt verzweifelt Richtung Strand. Das bemerkt die Frau leider nicht.
Seufzend will ich mich abwenden, da zucke ich zusammen. Der sanfte Papa hat sich kurz umgedreht und mit messerscharfer Stimme, die durch die allgemeine Sommerdösigkeit schneidet, nach hinten gefaucht: „Christine – siehst du nicht, dass der Hund Angst hat?!“.
Ich schaue der kleinen Gruppe hinterher. Und nun mache ich mir nicht nur Gedanken um den Hund, sondern auch um eine funktionierende Ehe – ist das zu weit hergeholt?
Zuviel Ehrgeiz kann töten
Am Wasser sehe ich, wie ein Mann mit dickem, selbstgefälligen Bauch seinen Hund immer wieder auf den Arm nimmt, in die Wellen trägt, bis sie seinen Bauch bedecken und ihn dann ins Wasser stupst. Das Tier paddelt um sein Leben. Am Ufer versucht der Hund, sich unter Frauchens Liegestuhl zu verstecken, vergeblich, die Frau findet ihren Mann gut, der findet den Hund. Und schleppt das sich sträubende Tier immer wieder in die Ostsee. Der dicke Mann merkt, dass ich ihn beobachte, er sucht Beifall und ruft: „Sehen Sie, er schwimmt!“.
Ich rufe zurück: „Wenn er nicht mehr schwimmt, ist es zu spät!“. Er begreift nicht. Ich werde wütend. Gehe zu ihm hin und frage ihn, wie er sich wohl fühlen würde, wenn man ihn in die Niagarafälle schmeißt.
Der Mann ist eingeschnappt und der Meinung, dass ich mich unbefugt einmische. Manchmal, das gebe ich zu, pfeife ich auf die Meinung anderer.
Muss ich mich einmischen?
Muss ich mich einmischen? Ja, ich muss. Auch wenn es nicht immer gut für mich endet. Als ich neulich zu einem krebsrotem Herrn ging, der sich anschickte, die Mittagspause in Freikörperkultur auch noch in der Zeit von mittags 12 Uhr, sozusagen als Nachtisch, zu verlängern. Als ich dem zu verstehen gab, dass seine folgende Nacht keine sehr gute sein würde, da stürzte sein Hund aus der Strandburg in meine Wade und gab meiner schönen, alten Turnhose den Gnadenstoß.
Das allerdings, hätte ich mir sparen können. Aber so ein bisschen einmischen geht immer!