Ein Weg zur Toleranz
Meine Schulfreundin war ein straffer junger Pionier und natürlich im Freundschaftsrat organisiert. Ihr Wesen war freundlich, sie konnte sehr lustig sein, aber alles tat sie in Maßen. Teenagerschwärme fielen einer knallharten Auslese zum Opfer und waren schließlich vorbei. Sie war gänzlich schnörkellos und lehnte – besonders bei modischen Dingen – jeden Firlefanz mit einer Handbewegung ab. So etwas war ihr lästig. Dinge mussten funktionieren und in ihrer Funktion nützlich sein.
Ihr Verstand war klar strukturiert von A nach B, der real existierende Sozialismus eine Selbstverständlichkeit. Sie war eine „rote Socke“. Das sagte sie selber von sich ohne Groll, Einschränkung oder Eigenkoketterie. Es war eben so. Und es blieb ihr auch nichts anderes übrig, denn sie war die Tochter des Bürgermeisters im Dorf. Damit ist vorerst alles gesagt.
Natürlich lockerte sich dieser Systempanzer im Laufe der Jahre. Was blieb, war die Schnörkellosigkeit und die Fähigkeit, allen Dingen einen realen Hintergrund zu geben. Was sie nicht sehen und anfassen konnte, das war halt nicht da. Über Esoterik lachte sie sich schlapp, Heilmethoden außerhalb der Schulmedizin waren rausgeschmissene Zeit. Selbst das autogene Training, das ich ihr anbot, um ihre Schlaflosigkeit in den Griff zu kriegen, fand sie in den ersten Minuten sofort so dämlich und überflüssig, dass ich wortlos abzog.
Meine Katzenfreundin
Ihr Geheimnis lag in grenzenloser Zuwendung zu Katzen. Egal welche oder wo, sie ging in die Knie und miaute im Katzenslang. Unnötig hier anzufügen, dass sie ständig irgendwelche Straßentiger versorgen musste und Futterplätze im halben Dorf hatte. Die Tiere und ihre Bedürfnisse bestimmten nicht nur ihren Tagesablauf – nein – sie waren Dreh- und Angelpunkt in ihrem Leben.
Einige Hofstellen weiter lebte eine Katzenfamilie mit zwei schwarzen Katerbrüdern. Wie Katzen so sind, gehen sie ihre eigenen Wege und suchen sich oft sogar einen neuen Familienanschluss. Eins dieser schwarzen Katerchen lag eines Nachts im Bett meiner Katzenfreundin.
Die Verblüffung war groß – wie war der kleine Kerl dorthin gekommen? Türen und Fenster waren zu – fast – denn ganz oben im Boden gab es eine winzige Luke, die mal auf und mal geschlossen war, die musste er gefunden haben. Kurz, das ging 8 Jahre so. Jede Nacht schnurrte sich ein schwarzes Fellpäckchen an die Füße und in das Bett meiner Schulfreundin.
Dann erkrankte der schwarze Kater, er wollte nicht mehr fressen, nur noch trinken und dann wollte er gar nichts mehr. Auch nicht mehr leben. Meine Schulfreundin begrub ihn unter großem Schmerz und fragte sich: „Wie soll es weiter gehen?!“.
Hätte sie mal das Leben gefragt, denn nur wenige Zeit nach dem Tod des Katers geschah etwas überaus Merkwürdiges: meine Schulfreundin wachte eines Nachts auf, und da liegt er wieder – ihr geliebtes schwarzes Katerchen, an selbiger Stelle im Bett und schnurrt. Fassungsloser, eisiger Schreck durchfuhr die Katzenmutter, und sie glaubte, ihr Verstand würde aussetzten.
Im Gegenteil, so scharf und korrekt hatte er lange nicht gearbeitet, denn eins war sonnenklar – hier lag schnurrend der Katerbruder.
Die restlichen Nachtstunden vergingen in einer Art von Grübelei, wie es meine Schulfreundin in ihrem Leben bisher noch nie gemacht hatte.
Denn, gleich morgens rief sie mich völlig aufgelöst an, und während ihres Berichtes wurde offensichtlich, dass diese Begebenheit nicht das Geringste zu tun hatte mit realistischer Logik, korrekter Denkstruktur oder Daseinsbewusstsein.
Verbindungen, die man nicht sehen und sich nicht erklären kann
Ich glaubte, meinen Ohren nicht, als meine Schulfreundin flüsterte: „Es muss ein Wunder geschehen sein, es müssen Schwingungen der Liebe von dem einen zum anderen entstanden sein, wie kann denn dieser fremde Kater wissen, wo ich lebe? Das muss ihm sein Bruder noch gezeigt und gesagt haben, als er merkte, er müsse sterben, er wollte mich nicht alleine lassen, da hat sein Bruder sich an seine Stelle gesetzt, um mich zu trösten!“.
Und in meine Wortlosigkeit hinein sagte sie beschwörend: „Das musst du verstehen, es gibt Verbindungen, die kann man nicht sehen und sich nicht erklären, aber glaube nur, sie funktionieren! Es sind unsichtbare Schwingungen, jetzt haben wir es erlebt!“.
Ich habe einige Beruhigungsformeln gemurmelt und gedacht; jetzt ist sie kurz davor, mir die russische Wissenschaft von der Telepathie zu erklären, und dann habe mich davon gemacht, mit dem Gedanken im Kopf: Von wegen: „was ich nicht anfassen kann, gibt es nicht“.
Und so stieg ein Gemüt aus dem real existierenden Sozialismus mit Leichtigkeit auf die Stufe des sozialistischen Realismus, von dort auf eine der Mattheuer-Wolken, um in esoterische Weite zu entfliehen, oder: Eine Bewusstseinserweiterung schafft neue Toleranzen und reißt alte Grenzen ein!