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Exkursion ins Arboretum „Erbsland“ bei Mirow

Der besondere Urlaub in Corona-Zeiten

Wir mussten mal wieder weg. Fort von den Urlaubermassen, von den reichlich gut besuchten Stränden, den allabendlichen Menschenschlangen vor Einkaufsläden (im 1,5 Meter-Abstand) und dem abartigen Aufkommen an Pkw auf unseren Inselstraßen.

Nein, auch Fahrradfahren war keine Option mehr. Denn, was nicht mehr auf die Straßen passte, war nun per Rad auf Rügen unterwegs. Die ständige Gefahr der fast lautlos vorbeijagenden E-Bikes ließ Überlebensangst aufkommen.

Ach du liebe Insel Rügen – wie hältst du das nur aus… Wir jedenfalls nicht mehr, nix wie weg. Nur – wohin?

„Am liebsten wäre mir die Mecklenburger Seenplatte“, sagte mein vernunftbegabter Mann. „Such mal etwas Schönes in unserer Nähe, irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern.“. Gesagt, getan – leider. Denn diese Überlegung teilte offensichtlich der Rest Deutschlands bei der Suche nach einem Urlaubsreiseziel. Überall Absagen – zu voll, zu kurzfristig – der Rest zu teuer, nein, wir wollten in keinem Schloss wohnen.

Urlaubsziel „Familienferienpark – Granzow / Mirow“

Und so geschah es, dass wir, jahrzehntelange Individualurlauber, zu dem wurden, was wir nie werden wollten: ein Massentouri mit Urlaubsziel „Familienferienpark – Granzow / Mirow“.

In meiner depressiven Verstimmung beschloss ich, meinen Bruder anzurufen, der in dieser Gegend lange Zeit Revierförster war. Ich erhoffte mir irgendeinen Lichtblick bezüglich „Ferienpark“. Mich muss die Vorsehung geführt haben, denn dieser Anruf erwies sich mehr als glückliche Hellsichtigkeit! Aber dazu später.

Ferienpark hört sich schlimmer an als es ist

Vorher muss ich bekennen: So ein Ferienpark hört sich schlimmer an als es auszuhalten ist. Sicher, viele Ferienhäuser, viele Kinder, reichlich Menschen.

Aber – in Zeiten der Corona- tatsächlich nur ca. 70 Prozent Belegung überall.

Keine überfüllten Gaststätten, ruhige Cafés, reichlich Fahrräder zur Ausleihe, ebenso Paddelboote, der kleine Einkaufsmarkt perfekt bestückt im Sortiment und bemerkenswert wenig frequentiert.

Dazu ein Apartment direkt am See, klares Wasser und jeden Morgen einladend zum Schwimmen.

Die Ruhe auf unserer kleinen Terrasse war verblüffend.

Wo waren denn alle die Familien in diesem Ferienpark?

Und rundherum eine wunderschöne Wander- und Radfahrgegend – alles gut.

Alles?

Gibt es hier denn nichts Interessantes zu entdecken?

Einmal Förster, immer Förster

Und jetzt kommt die Sache mit dem Bruder, der ein Revierförster war. Denn einmal Förster, immer Förster. Wie grundsätzlich dieser Beruf zu einer Berufung werden kann, das erlebten zwei staunende und gänzlich ahnungslose Urlauber…

„Klar“, sagte mein Bruder am Telefon, „klar komme ich bei euch vorbei. Denn, wenn das Wetter es zu lässt, zeige ich euch was ganz Besonderes.“. Naja, dachte ich, was kann so ein alter Revierförster einem schon Besonderes zeigen im Wald: einen riesigen Waldameisenbau? Oder einen verlassenen Adlerhorst? Eine kuschlige Wildschweinsuhle?

Vater Kneipp würde einem Besucher wohl das kalte Wasser zeigen – basta. Ähnlich aufregend erschien mir der Gedanke, mit einem Waldmenschen in den Wald zu gehen. Weit gefehlt. Was war ich ahnungslos.

Das Arboretum „Erbsland“ im Forstrevier Mirow

Försterbruder kam mit Verspätung. Er wäre noch im Forstamt gewesen und hätte dringende Unterlagen abgeholt. Ich dachte mir immer noch nichts „Besonderes“. Aber dann verlud er uns in seinen kleinen Geländewagen, drückte meinem Mann, der in der Familie als Pfadfinder legendären Ruf genießt, ein Messtischblatt in die Hand und sagte: „Was ich da angezeichnet habe, ist das Erbsland, da müssen wir hin.“.

Und so begann unsere Exkursion durch das Arboretum „Erbsland“ im Forstrevier Mirow.

Was ist ein Arboretum?

Doch zunächst: Was ist ein Arboretum? Die kürzeste Bezeichnung lautet: „Baumgarten“. Ausführlicher erklärt, liest es sich wie folgt: Arboreten sind im Grunde Gehölzsammlungen für Pflanzen, die nicht in Pflanzgefäßen wachsen können. Etwa einhundert Stück davon gibt es in Deutschland. Heute werden sie für die wissenschaftliche Lehre und Forschung, für die Umweltgestaltung und natürlich für Freizeit und Wandern genutzt.

Und hier, mitten im Wald der Mecklenburgischen Seenplatte, befindet sich der Forstbotanische Garten „Erbsland“, ca. 6 km nördlich der kleinen Stadt Mirow.

Ein „Erbsenland“ mitten im Wald?

Die Deutung des Namens ist umstritten, aber vermutlich wurde hier, auf einer etwa 7 Hektar großen fruchtbaren Insel aus Geschiebelehm (rundherum waren nur Sanderflächen) von den Bauern des Dorfes Qualzow Gemüse angebaut – halt auch Erbsen. „Eine Erbseninsel“, witzelte mein Mann.

Förstermeister Friedrich Scharenberg

Doch Spaß beiseite. Der Eingangsbereich zum Arboretum präsentierte sich durch ein rustikales Holztor und führte direkt zum Ursprung, zum Anfang dieser genialen forstbotanischen Arbeit und dem „Erfinder“, Mirower Förstermeister Friedrich Scharenberg (1821 – 1901).

Ein angemessen stattlicher Stein setzt diesen Mann ehrenvoll in Gedenken. Was wollte Friedrich Scharenberg hier auf dem „Erbsland“? Was war seine Idee, sein Anliegen?

Förstermeister Scharenberg war ein Mann mit Weitsicht. Mit mutigem Pioniergedanken ging er an das Projekt, dieses „Erbsland“ durch die Anpflanzung ausländischer Baumarten zu einem Versuchsfeld für die deutsche Forstwirtschaft anzulegen.

Anpflanzung ausländischer Baumarten

„Ziel derartiger Anbauversuche war seit der Mitte des 19.jahrhunderts, die durch die Eiszeit verarmte Flora in Mitteleuropa durch neue Baumarten, vor allem aus Amerika und Asien, zu bereichern.“, so steht es im Flyer vom Forstamt Mirow.

Gruppenweise wurden fremde Baumarten in einen etwa gleichaltrigen Mischbestand aus Buchen, Eichen, Eschen und Birken hineingepflanzt.

Manchmal muss der Besucher sehr aufmerksam sein, um diese Einpflanzungen entdecken zu können, wer vermutet auch – so unspektakulär am Wegesrand – einen Hickorynussbaum?

Wisst ihr, dass die Nüsse durch Damwild regelrecht aufgeknackt werden und auf diese Weise zur Nahrung dazu gehören?

Wer unterscheidet im Vorrübergehen die Sidkafichte von der Weymouthskiefer von der Coloradotanne?

Und kennt denn jeder die Esskastanie?

Woher weiß das ungeübte Auge, dass dieses kleine Puschelbäumchen an der Ecke mal eine Weißtanne werden will?

Ach, und so sieht also eine Robinie aus?

Und dieser Baum mit den ungewöhnlichen Blättern ist – na? – Schaut genau die Blätterform an – ist ein Tulpenbaum, noch nie gesehen?

Hier also!

Und, Achtung, diese unglaublich hohen Bäume, die da stehen wie Kirchensäulen, das sind die prächtigen Grünen Douglasien. Unter ihnen befindet sich ein Baum von 42 Metern Höhe, da lohnt schon mal der andächtige Blick in den Himmel.

Und weil diese wunderbaren stolzen, mächtigen Bäume meist in Gruppen angepflanzt wurden, kann es passieren, dass der Besucher plötzlich in einem Wald steht, den er nur aus Filmen kennt, aus amerikanischen… und dann ist man mal eben so plötzlich ganz weit weg und sehr woanders, und ist dem alten Scharenberg sehr, sehr dankbar.

Und natürlich unserem Waldläufer, dem alten Revierförster-Bruder, der uns auf Schritt und Tritt die Augen öffnete für jedes Detail im Wald, in der Natur.

„Backstage“ im Wald oder Baumschule hinter den Kulissen

Durch einen Wald wandern kann jeder. Waldwandern hingegen ist schon die gehobene, neuere Form der emotionalen Entspannungstherapie. Doch mit fachkundigen Hinweisen wird der Rundgang ein einmaliges Erlebnis. An der brutal langen Blitzschlagrinne im Douglasienstamm zum Beispiel, wäre ich einfach vorbeigelaufen.

Das „Baumloch“ war nicht einfach nur ein Loch in der Rinde, sondern die Behausung eines Krallentieres: Marder, Eichhörnchen oder Siebenschläfer. Die Kratzspuren waren deutlich zu erkennen und wiesen den Weg zum Bau. Nur eben sehen muss man es.

Und welche Wege die jungen Eichen suchen, wenn sie beim Wachsen durch lange Schutzröhren geführt werden, das war schon sehr eigenwillig und witzig.

Wäre mir das ohne Hinweis aufgefallen?

Eindeutig, mit einem kundigen Waldläufer hinter die Kulissen sehen zu dürfen, das ist der Gipfel. Denn so ein berufsalter Waldläufer sieht einfach mehr und vor allem sieht er alles: er spürt den Wald, sein Werden und Vergehen, er spricht mit den Bäumen und sie antworten ihm.

„Ja“, sagt mir mein Försterbruder, „die Bäume geben mir Signale, sie weisen mich hin auf wichtige Änderungen, sie vertrauen mir, sind meine Freunde.“.

Leute, so etwas gibt`s in echt. Allerdings nur, wenn ein Beruf zur Berufung wird. Und auch diese Geschichte endet mit einem Schmunzeln – denn wo ein „Chinesenbart“ im Wald zu finden ist, das weiß ich nun auch, sage es aber hier nicht weiter. Damit verblüffe ich demnächst meine waldwandernden Urlauber.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!