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Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern

Blogger 16. August 2021August 18th, 2021Fundstücke, Göhren, Kultur, MV, Reiseberichte, Rügen-Blog, Streifzüge

Wir haben Urlaub

Wir haben Urlaub – keine Termine, Freizeit, Vergnügen und Erholung. Tag für Tag. Man glaubt es nicht, aber, das kann eine schwierige Zeit sein und Stress pur.

Oder – wie es eine norddeutsche Weisheit auf den Punkt bringt: „Jeden Tag Aal, das ist eine Qual.“.

Sommer auf Rügen

Wir haben Inselsommer in Hochform auf Rügen. Fußgänger, Fahrradfahrer, kleine Kinder, große Hunde (oder viele Kleine), Autoschlangen auf allen Straßen, Menschenschlangen an den Eisständen, Tumulte am Strand und abends Musikevents sind eine Urlaubsmischung, die so Manchem die Laune verdirbt.

Nein, sie sind mitnichten alle in unbeschwerter Urlaubsstimmung, unsere Inselgäste. Urlaub kann anstrengend sein, wir sehen es den Familien an, wenn sie zur Mittagszeit den Bollerwagen, bepackt mit dem Nötigsten für einen Strandtag, Richtung Ostsee ziehen…

Guts- und Herrenhäuser in MV

Die Einheimischen haben straffes Arbeitsprogramm und alle Hände voll zu tun. Wer kann, haut ab. Und wenn es auch nur paar Tage sind. Und wenn es auch nur bis „um die Ecke“ geht. So auch wir. Aber, wohin? Bei kurzem Anfahrtsweg und schönster Landschaft ist seit Jahren unser Tipp: Entdeckungen der Guts- und Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern.

Schlösser und Herrenhäuser auf Rügen

In dem Buch „Schlösser und Herrenhäuser auf Rügen“, 1993 erschienen, werden insgesamt 216 Herrenhäuser aufgelistet, die nur auf der Insel Rügen registriert werden konnten. Sie wurden akkurat unter baugeschichtlichen und denkmalpflegerischen Gesichtspunkten dargestellt, allerdings meist in einem trostlosen Zustand und nur noch als Ruine auszumachen.

Prächtige, restaurierte und in neuer Nutzung zu bestaunenden Anlagen sind u.a. Schloss Ranzow, Gut Boldevitz, Granskevitz, Groß Schoritz, Herrenhaus Kapelle, Karnitz, Lietzow, Ralow, Ralswiek. Oder die Ruinen vom Gutshaus Pansevitz, die jetzt in gepflegter Nutzung eines Vereins die Plattform für wunderschöne Musik- und Sommertheater-Aufführungen sind.

Das Jagdschloss Granitz ist bekannt, braucht keine extra Erwähnung. Ein Beispiel von „Denkmalpflege“ mit Diskussionspotential im neuen Maßstab ist das Gutshaus Üselitz, jetzt ein Hotelressort in moderner Nutzung und, in diesem Sinne als Umbau, in gewöhnungsbedürftiger Darstellung.

Entdeckungen in der Mecklenburgischen Schweiz

Wer gerne etwas weiter fort möchte, dem sei das unglaubliche weite Forschungsfeld der Schlösser, Herrenhäuser und Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern aufs Wärmste empfohlen. Hier sei nicht zu dick aufgetragen, aber, man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Von ursprünglich über 2700 existenten Gutsanlagen sind aktuell immer noch gut 1000 Gutshäuser und Schlösser unter Denkmalschutz registriert. 90% befinden sich in Privatbesitz und in schrittweiser Restaurierung oder präsentieren sich bereits, nach Vollsanierung, in neuer, alter Schönheit.

Ein ungeheurer finanzieller und körperlicher Kraftaufwand geht dieser Schönheit voraus, der oft über Jahrzehnte den neuen Besitzer an alle erdenklichen Grenzen führte. Man erahnt diesen Berg, der zu bewältigen war, wenn man sich gründlich auf dem Gutsgelände umsieht.

Nicht nur das Hauptgebäude galt es zu erhalten, hinzukommen meist weite Gartenanlagen, Parklandschaften, Orangerien, Wirtschaftsgebäude, Straßen und andere Zuwege. Und – das ist bekannt – keine Arbeit gilt als abgeschlossen. Immer wieder kommen neue dazu. In das Staunen mischt sich eine gehörige Portion Respekt.

Unterwegs zum Gutshaus Below

Ganz genau so erging es uns. Wir hatten uns das Gutshaus Below ausgesucht in einer verhältnismäßig unspektakulären Landschaft abseits der A 19, zwischen Malchow und Wittstock oder in Bezug auf diese sanfte Naturecke, gelegen zwischen Elbtalaue und Norduckermärkischer Seenlandschaft.

Nicht großartig was los da. Bis auf Schwerpunkt deutsche Geschichte.

Denn bereits bei der Anfahrt durch einen wunderschönen Forstwald war plötzlich Stopp – ein Gedenkstein am Weg, ein Platz mit Schriftstelen, Großfotos, Hinweisschilder. Und da war es wieder: das Grauen des 2. Weltkrieges. Und zwar sehr direkt, präsent und sehr unmittelbar.

Todesmarsch im Belower Wald

Im April1945 lagerten hier mehr als 16.000 Häftlinge, ohne Unterkunft und Versorgung, von Hunden und SS-Postenketten bewacht, auf ihrem „Todesmarsch“ vom KZ Sachsenhausen Richtung Nordwesten. Völlig entkräftet mussten die Häftlinge täglich bis zu 40 km Fußmarsch bewältigen und wer nicht weiterkonnte, blieb liegen oder wurde erschossen. Für die Männer, Frauen und Kinder wurde der Belower Wald zur Todeszone. Ohne die geringste Versorgung für Kranke und Geschwächte blieben die Häftlinge sich selbst überlassen. Hier war oft Ende ihres Überlebenskampfes.

Etliche Bäume sind gekennzeichnet, die deutlich Spuren in der Rinde zeigen als verzweifeltes Mühen, sie stückweise gegen den Hunger zu verwenden. Und doch gab es in dieser fürchterlichen Zeit Menschen, die nicht wegschauten, die helfen wollten und dies unter Lebensgefahr auch taten. Es wird berichtet, dass die Köchin aus dem Gutshaus Below es schaffte, heimlich die Häftlinge mit Suppe und Brot zu versorgen – und wer weiß, wie Vielen sie Hoffnung und einen Funken Leben geben konnte.

Urlaub im Gutshaus Below

Und dann liegt vor uns das Dörfchen Below: eine Handvoll Häuser, keine Menschenseele weit und breit, aber eine solide Straße, die direkt auf zwei riesige Bäume zuhält. Nähergekommen sehen wir – ganz enorm hoch gewachsene Linden – die Prachtexemplare stehen direkt vor dem Fachwerkgebäude, Gutshaus Below.

Später erfahren wir, dass hier am Haus und im anschließenden Park (unbedingt besichtigen!) die höchsten Linden- und Eichenbäume dieser Region zu finden sind.

Das Gutshaus ist ein barocker zweigeschossiger Fachwerkbau mit fünf Fensterachsen und Walmdach, datiert auf das Jahr 1740. Hundert Jahre später wurde an der Südseite ein Gesindehaus angebaut. Seit 2011 wird das denkmalgeschützte Hauptgebäude von den Eigentümern umfassend und sehr behutsam mit viel Fingerspitzengefühl für seine Geschichte, für das Alte und mit noch viel mehr Engagement schrittweise saniert.

Im Erdgeschoß befindet sich der Privatbereich der Eigentümer sowie der historische Festsaal für unterschiedlichste kulturelle Aktivitäten.

Eine breite, alte Holztreppe führt nach oben zu den beiden wunderschönen Ferienwohnungen, die großzügig und bis ins kleinste Detail nach historischem Vorbild und mit Geschmack fürs Antiquarische ausgebaut und eingerichtet worden sind.

Der Architekt und die Museologin gehen auf Entdeckungsreise

Ja, diese Mischung macht`s: Alte Dielung, alte Balken, alte Möbel im Ambiente mit historisierten Gebrauchsinventar in Küche und Bad, wir hatten unentwegt Neues zu entdecken, was eigentlich alt sein sollte. Verblüffende Symbiose zwischen schön und gut und praktisch.

Und natürlich – weil wir derzeit die einzigen Bewohner des Gutshauses waren – haben wir auch jede Tür geöffnet, die sich öffnen ließ und alle anderen Räume und Wohnungen (der Anbau Gesindeteil hat nicht nur eine „heimliche“ Treppe in den unteren Wirtschaftsbereich, sondern bietet jetzt Platz für zwei sehr hübsche, kleinere Ferienwohnungen) besichtigt.

Sehr zu empfehlen ist auch ein Lese-Tag im Park unter den hohen Bäumen, dort sind Liegen, Tische, Stühle, bereit auch für Frühstück unter freiem Himmel.

Ein Ausflug zur Burg Wredenhagen

Vom Gutshaus Below lässt es sich durch herrliche Natur wandern bis nach Wredenhagen. Die Wege sind nicht ganz unkompliziert zu finden, aber der Wald ruht wunderschön in sich selbst. Man kommt, sozusagen, beim Gehen ins Singen.

Wredenhagen ist ein endloses Straßendorf mit einer mobilen Eisdiele am Wegesrand. Der Mensch freut sich, dass sich eine Gelegenheit bietet, drei Worte mit einem „Einheimischen“ zu wechseln. Der wies uns auch den Weg hoch zur Burg, nicht zu verfehlen, weil der Kirchturm grüßte und ein Café mit Straußenfarm.

Wie jetzt – Straußenfarm?

Man sollte Wredenhagen nicht unterschätzen, neugierig ob der ungewöhnlichen Mischung erklingelten wir uns ein Date an der Eingangstür, bekamen besten Kaffee vor die Tür gereicht und kauften, natürlich, Straußensalami. Als Geste an den notleidenden Einzelhändler. Perfekt eingepackt für den Transport, konnte ich wenig später dem Räucherduft nicht wiederstehen: ich kann euch sagen – ein einziger Genuss – auch noch gesund, weil fettarm. Außerdem erfuhren wir, dass Wredenhagen im Grenzland zwischen Mecklenburg und der Mark Brandenburg liegt und damit mitten in der „Schmugglerheide“.

Und schon waren wir richtig dabei und auch mittendrin in der Geschichte dieses kleinen Ortes, mit einer Burg, die bereits 1284 Erwähnung fand. Von hier aus wurden rund 50 Dörfer verwaltet, wer hätte das gedacht!

Erlebbare Geschichte – Burg Wredenhagen

Hinter der Kirche fanden wir das in den 90er Jahren sanierte Torhaus, stattliche Reste der ringförmigen Burgmauer und Wehranlagen, Amts- und Gutshaus und die älteste und schönste Blutbuche, die wir je gesehen haben.

Ein mit mannshohen Figurenbildern ausgestatteter Rundgang zur durchaus bewegten Geschichte dieses Ortes machte den Besuch zu einem fröhlichen Erlebnis.

Sogar eine kleine Bühne fanden wir am Rand des Burgplatzes, offensichtlich sind hier Freiluftveranstaltungen möglich und Vorführungen der Falknerei des Ortes. „Man kann´s nicht anders sagen – ein interessantes Wredenhagen!“.

Stadt Wittstock

So schön es ist in ländlicher Ruhe und Idylle – ein Stadt-Tag muss sein. Mein Mann weiß das und hält vorsorglich sein Portemonnaie unter Verschluss. Aber nein, null Ambitionen auf Einkaufsbummel. Nicht nur, weil die erlebte Natur so nachhaltig war, auch, weil es nichts gab zum Einkaufsbummeln.

Aber, diese Stadt hat andere Besonderheiten: verblüffend ist die Anzahl hübscher, kleiner Fachwerkhäuser, die aneinander gelehnt, der Stadt ein besonderes Gesicht geben.

Und die gut restaurierte Stadtmauer, die als einzige geschlossene Backsteinmauer in Deutschland mit fast 2,5 km Länge staunen lässt.

Der Rundgang macht Spaß, man kommt an den einzig erhaltenen Stadttoren vorbei (die Museen und die alte Bischofsburg hatten geschlossen), entdeckt eine alte Sonnenuhr an der Rückseite des Rathauses und sitzt schließlich auf einem weiten und großzügig angelegten Markt.

Mittelalterliche Ackerbürgerstadt

Ackerbürgerstadt mit mittelalterlichem Flair und mit nicht unerheblicher Geschichte (Schlacht bei Wittstock 1636).

Man wüsste gerne mehr, denn hier muss viel passiert sein, diese kleine Stadt hat eine besondere Bedeutung und sie ist stolz auf sich, man sieht es ihr an der Nasenspitze an: die Stadtkirche St. Marien lässt den Besucher am Eingangstor ganz kleinlaut werden in ihrer imposanten Größe. Sie ist das sichtbare Wahrzeichen der ehemaligen Bischofsstadt Wittstock.

Und das Abendkonzert mit „Jazz an der Orgel“ klang in dem über 700 Jahre alten Gemäuer so frech und jung, das ich mir sicher war.

„Die haben es faustdick hinter den Ohren, die Wittstocker…“.

Richtig, wer hätte das gedacht? In Wittstock hält seit 20 Jahren ein Freundeskreis Wittstocker Rosen diese Kunst der Blütenzüchtung in hohen Ehren und hat es sich zur Aufgabe gemacht, öffentliche Plätze mit Tausenden von Rosen zu verschönen.

Vielleicht ist dieses Hobby, dieses Amt der Rosenpflege, das wirksamste Pflaster für die Narben in der Geschichte dieser kleinen Stadt. Vielleicht ist dies aber auch nur der Ausdruck einer speziellen Versonnenheit die Wittstock ausmacht. Man spürt sie, wenn man mit einem Kaffee auf dem großen Marktplatz sitzt.

Zurück in „unserem“ Gutshaus waren wir dankbar, dass wir so viel entdecken konnten, und vor allem darüber, dass es sie gibt, diese Gegenden, in denen nichts los ist.