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Kleine Geister-Kunde für die Insel Rügen

Hausgeister, Waldgeister und Strandgeister

Geister gibt es viele. Unter anderem sind es die Hausgeister, Waldgeister und Strandgeister, denen man hier begegnen kann. Ich kenne sie alle gut. Das sind lustige, hilfsbereite, gutmütige und freundliche Geister, und sie sind alle übermäßig begabte, kreative Geschöpfe, denen ständig etwas Neues einfällt. Kein Wunder, denn sie leben im Rhythmus des Tages- und Jahreswechsels, mit den Gezeiten, mit jeder Sekunde am Tag und des nachts, da muss man sich etwas einfallen lassen.

3 Hausgeister aus Göhren

Wir haben drei Hausgeister. Der Älteste, mir bekannte, ist unsichtbar, hat aber inzwischen einen Namen von uns bekommen.

Der alte Hausgeist Werner schleicht bei uns in Göhren immer mal die Treppe hoch oder runter, macht die Haustür auf oder zu, hängt seine Jacke an die Garderobe und stellt Schuhe ab. Wir hören diese Geräusche, schauen uns dann an und sagen: „Aha, Wernerchen kommt wieder mal gucken“ und warten gelassen ab, bis es wieder still ist.

Nur die Katze kann ihn sehen. Die setzt sich auf, macht einen langen Hals, spitzt die Ohren, dreht den Kopf und rollt sich wieder zusammen, wenn unser Schleicher sich davon gemacht hat.

Mein zweiter Hausgeist ist gänzlich körperlos und ausschließlich zu hören. Den sieht nicht mal die Katze, denn er wohnt im Kühlschrank, wie in einer Arrestzelle. Ich denke, er ist ein durchgeknallter Künstler, denn er rezitiert Monologe, intoniert jammervolle Klagelieder, oder kichert vor sich hin. Ganz sicher leidet er unter einer überspannten Schaustellerseele. Fremde, die in meiner Küche neben dem Kühlschrank stehen, erstarren und gucken mich angstvoll an. „Keine Bange“, sage ich dann, „jetzt spinnt er wieder.“ Auch wenn ich meinen Hausgeist meinte, denken sie, ich spreche vom Kühlschrank und geben sich zufrieden. Dabei sind ja beide Varianten auf die Sicht der Dinger gewöhnungsbedürftig.

Mein dritter Hausgeist ist sehr präsent und in erster Linie zu sehen. Der saß eines Tages im Vorgarten inmitten der Steine, klein, unscheinbar, aber mit einem blitzeblanken, glitzernden Stein geschmückt, der mir sofort auffiel. „Ey“, habe ich gesagt, „wer bist Du denn und wo hast du diesen schönen Stein her? Ist das ein Bernstein?“ „Klar!“, sagte der kleine Hausgeist, „Natürlich ist das Bernstein, den hat mir mein Kumpel am Strand geschenkt, den trage ich immer im Mund.“.

Daraufhin ich ein einziges Fragezeichen… und der kleine Hausgeist sah mich schräg an: „Ich denke, du sammelst altes Sprachgut? Kennst du nicht, was die Mönchguter früher sagten, wenn sie auf Bernsteinsuche waren?“.

„Nu häw ik`s int Muul, nu find ik noch mier.“

Und tatsächlich, das leuchtet ein: die sicherste und schnellste Methode am Strand, um Bernstein vom Geröllstein zu unterscheiden, ist, einfach vorsichtig drauf zu beißen. Das weiche Material vom Baumharz ist im Unterschied zum harten Stein sofort und deutlich zu erkennen. Jetzt sitzt dieser Hausgeist nun ständig im Bereich des Herdes und da gehört er ja auch hin.

Waldgeister im Göhrener Hövt

Die Waldgeister kennt jeder, der sich mit offenen, aufmerksamen Ohren und Augen im Wald bewegt hat. Denn, sie sind überall, sie wispern mit den Gräsern, schaukeln auf Ästen, leben in Bäumen. Der mir bekannteste Waldgeist wohnt in der dicken Eiche, an der ich immer vorbeilaufe. Zumindest hat er dort seine Wirtschaftsräume, denn von Zeit zu Zeit kippt er das Wischwasser aus einer Baumrinne, wie aus einem Ablaufrohr. Diese Geister sind mir die liebsten, ihre Weisheit ist unendlich.

Wer mutig ist, mag bei heftigem Sturm mal einen Spaziergang wagen auf den Berg zum Sturmwarnsignal in Göhren. Dort steht eine mächtige Eiche und dort toben die Windwaldgeister. Sie flippen regelrecht aus, wenn ein strammer Nordost den Hexenberg umfegt, und der (tapfere) Spaziergänger hört sie johlen, kreischen und deutlich rufen. Ist dies der Nachtjäger, die Hexen vom Berg oder sind es die Waldgeister? Ja – macht das einen Unterschied? Spannende Sache, die mit den Waldgeistern…

Der Strandgeist von Göhren

Der Strandgeist ist ein interessanter Typ. Der stand urplötzlich vor mir, als ich einsam am Strand von Göhren unterwegs war und faszinierte sofort durch seine coole Erscheinung – was für ein Typ! Kein Wunder, der bewegt sich ja nun ständig in menschlicher Gesellschaft, was hat er im Laufe der vielen Sommer alles sehen können, sehen müssen. Rein gar nichts ist ihm fremd. Er spricht alle Dialekte, kennt alle urlaubsbedingten Befindlichkeiten, alle emotionalen Höhen und Tiefen zwischen Wasser, Strand und sämtlichen Konfektionsgrößen.

Ein abgebrühtes Exemplar von Strandgeist. Das wurde mir klar, als ich seine Häuser begutachten konnte. Innovativ, immer wieder anders und immer sehr, sehr unkonventionell und künstlerisch gestaltet, sogar mit Torbogen am Eingang ausgestattet. Aber, ich glaube, damit wollte er nur auf den Putz hauen.

Eines Tages erwischte ich ihn tatsächlich beim Annoncieren an der Singlebörse für Strandgeister.

Keine Frage, mein Strandgeist war einsam. Sicher, Land hatte er genug, Häuser reichlich, selbst ein Haustier hatte er sich angeschafft – nun musste ein Weib her!

Nie hätte ich gedacht, dass dieser Typ bei der Partnervermittlung Erfolg haben könnte und doch, seine künstlerischen Bemühungen, man muss bekennen, sehr eindrucksvolle Anzeigenschaltung, überzeugten.

Und dann stand da sein Weib, Donnerwetter, ein Prachtexemplar. Wie eine Königin am Strand. Alles passte.

Nicht lange, und ich fand die originelle Verlobungsanzeige, also doch – er hatte es geschafft.

Bis zum Horizont glückliche Zweisamkeit für Strandgeister – das lässt hoffen.

Das Reich der Geister am Wasser

Von wegen. Ach, es hätte alles so zufrieden und froh sein können im Reich der Geister am Wasser – aber nein, er musste ja ins Göhrener Zeltkino gehen und sich den Film „Wem gehört mein Dorf“ reinziehen. Irgendwas muss er falsch verstanden haben. Denn er glaubte, erkannt zu haben, dass dieses ziellose Rumlungern am Strand rausgeschmissene Zeit ist und der eigentliche Sinn für ein erfülltes, rechtschaffendes und zielgerichtete Leben darin besteht, Werte anzuhäufen. Jawoll, Wachstum, warum nicht auch hier am Strand, der war so unglaublich leer und unbebaut, frei bis in die Düne. Frei bis zum Horizont.

Und mein Strandgeist, bisher künstlerischer Freigeist, investierte in Immobilie. Am Südstrand, da konnte er sich so richtig austoben. Da war alles Natur, da war er der Erste, da musste endlich ein Haus her! Nicht lange gefackelt und da stand es nun, ein Haus, fest wie eine Burg, imposant wie noch niemals gesehen. Groß und lang und stark. Dieser Strandabschnitt war nun seiner.

Was für ein beglückendes Gefühl für einen Strandgeist. Jetzt hatte er ein Ressort, alles Seins, er hatte die Zeichen der Zeit erkannt und den Film vom verkauften Dorf richtig verstanden – oder?

Mehr dazu im Blogbeitrag „Ausverkauf der Insel Rügen.

Naturgewalten am Göhrener Südstrand

Aber, das Leben ist gerecht. Ganz besonders im Ostseebad Göhren und ganz besonders in Strandnähe. Denn hier regieren immer noch die Naturgewalten. Und so musste mein Strandgeist erfahren, was alle dämlichen Immobilienhaie begreifen müssen: wer sich zu weit zum Fenster hinauslehnt, der stürzt ab. Nicht nur am Göhrener Nordhang.

Und nur wenige Wochen nach dem Hausbau am Südstrand kamen die ersten Stürme und die Wellen nahmen sich alles, was ihnen gehört – nichts, gar nichts blieb übrig von den Mauern, alle Steine kullerten wieder vergnügt dort, wo sie hingehörten: in den Wellen am Ufersaum der Ostsee. Dieser Strandbereich sah wieder so aus als wäre hier niemals ein Stein bewegt worden, wie von Geisterhand war alles weggespült.

Der Strandgeist baut dort nie wieder. Und wenn überhaupt, dann ausschließlich fantasievolle Sommerhäuschen, die Spaß machen und die zum Strand gehören.

Ein wenig verschämt musste er bekennen: Die Investor-Idee war ein Ausrutscher, ein Menschenvirus, unvereinbar mit der unendlichen Weisheit der Strandgeister, was er, wenn er nur könnte, gerne weitersagen möchte:

Menschenhand begreife deine Endlichkeit. Die Natur wird stärker sein.