Gottes Wort in plattdeutscher Mundart
Vor dem Schaukasten, im Eingangsbereich der Kirche Göhren, drängelt sich eine kleine Menschengruppe. Sie recken die Hälse, sie fotografieren, sie schmunzeln. Eine fröhliche Begegnung – mit wem?
Ich weiß es und ich muss auch schmunzeln: Der aktuelle Monatsspruch macht sich im Schaukasten breit. Und er braucht den gesamten Raum, denn, und das ist das Besondere an dieser Art Öffentlichkeitsarbeit – der Spruch verkündet nicht nur Gottes Wort für den jeweiligen Monat, er macht dies auch noch doppelt, nämlich „übersetzt“ in die plattdeutsche Mundart.
Vergnügliches an der Kirche Göhren
Seit Jahren ist dieser Schaukasten mit seiner besonderen Botschaft ein Anziehungspunkt. Ist die Schrift nicht nur wunderschön gestaltet und vollendet mit Feder geschrieben, gibt das plattdeutsche Pendant auch oft genug Grund zur Heiterkeit – wenn man es denn richtig verstehen kann!
Unserer niederdeutschen Mundart liegt eine besondere Gemütlichkeit inne, eine formvollendete Lässigkeit, die vom Herz direkt zum Mund führt. Sie begegnet dir ohne Umwege, trägt das Wahre ohne Verletzung, sie kommt daher, wie ein guter Freund, klopft dir auf die Schulter und macht selbst aus Trauer gütige Hoffnung.
Und sie lässt schmunzeln. Man versteht, was es heißt: „Dem Volk aufs Maul geschaut“. Auf diese freundliche Weise lesen es alle gerne, das Wort Gottes.
Wort Gottes auf Plattdütsch
Und – das ist wichtig – hat der Leser die plattdeutsche Fassung für sich entziffert und verstanden, bleibt der Sinn im Gedächtnis, trägt man ihn weiter durch die Tage, bis – nun – bis zum nächsten Monat, bis zum nächsten Monatsspruch.
Dies zum Inhalt der monatlich geschriebenen Losung im Schaukasten der Kirche zu Göhren.
Die zweite Besonderheit, die jeden vorbeigehenden Kirchenbesucher verweilen lässt, ist die Form, eine gestaltete Losung in alter, schöner Frakturschrift, wie sie kaum noch jemand kennt oder kann. Hier ist offensichtlich ein Künstler am Werke, diese alte Federschreibschrift ist Kunsthandwerk, in der Schriftenmalerei gehörte sie zum Ausbildungsberuf. Denn wenn das geschriebene Wort nicht nur wahrhaftig, sondern auch noch schön anzusehen ist, steckt mehr dahinter, das machte mich neugierig. Und ich begab mich auf die Suche.
Wer kann so schreiben?
Mein erster Ansprechpartner war natürlich unser Pfarrer, der mich auf direktem Wege an unsere Kantorin verwies, was mich anfangs verwunderte, aber schließlich auf eine Lebensgeschichte führte, aus der dieser kleine Blogbeitrag entstand.
Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift
„Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift“, diese Inschrift einer griechischen Wachstafel bestätigte zwei Jahrtausende später ihren bewahrenden Sinn an einen der bedeutendsten Schriftkünstler des 20. Jahrhunderts: Rudolf Koch (1876 – 1934). Seine Druckschrift, seit 1908 als „deutsche Schrift“ für den Bibeldruck verwendet, ergab mit ihren einfachen, herben Federzügen ein kraftvolles, ästhetisch anspruchsvolles, in sich geschlossenes Satzbild.
Aus dieser schöpferischen Arbeit ging eine Fülle neuer gotischer Fraktur-, Kanzlei-, Antiqua- und Kursivschriften hervor, die umfänglich in den Dienst am Wort Gottes, der Bibel, gestellt wurden.
Was Wunder, dass das „Schreibbüchlein“ von Rudolf Koch, (erschienen 1936 im Bärenreiter-Verlag), nicht nur eines der wichtigsten Lehrbücher als Anleitung zum Schreiben wurde, sondern grundsätzlich für den Dienst am Wort.
Wer Freude hat am Schreiben, der lernte hier das „Wie“ im Handwerk.
„Irgendwas mit Gestalten und Schreiben, das kann ich“, sagte sich die Mutter unserer Kantorin.
Und sie sagte dies so nachdrücklich, dass daraus eine Idee wurde – das Erarbeiten von Plakaten, von Ankündigungen diverser Kirchenmusikveranstaltungen für die Mariengemeinde Greifswald.
Über einen langen Zeitraum entstanden so anspruchsvolle Schriftbilder, Linolschnitte, Grafiken mit sicherer Hand, und immer lag ihr künstlerischer Anspruch in einer ausgewogen gestalteten Schrift, im erlernten Handwerk von Rudolf Koch.
Ein mundartgerechtes Bibelwort
Schreiben ist die eine Seite, die unseren Schaukasten jeden Monat zum Anziehungspunkt werden lässt, zur Vorlage dient das Bibelwort, wer aber „übersetzt“ den Monatsspruch ins Plattdeutsche, und warum?
Nachgefragt bei unserer Kantorin über das Leben ihrer Mutter, erfahre ich, dass sich zur künstlerischen Begabung an schöner Schrift eine hohe Sensibilität für Mundart gesellte. „Sie hat einfach Freude an dem Hören von Dialekten“, erzählt mir unsere Kantorin, sie konnte den Menschen beim Sprechen zuhören. Und dort, wo sie lebte, sprach so mancher noch Plattdeutsch.
Da war sie nun, die Idee zum Gestalten des Monatsspruchs für den Kirchenschaukasten. Vorerst in Weitenhagen fanden die Monatssprüche ihren Weg nach Greifswald und Neuenkirchen.
Die Verbindung von Schrift und Mundart
Von hier führt der direkte Weg ins Jahr 1998, als die Bibelsprüche, geschrieben in anspruchsvollen Federzügen, übersetzt in die niederdeutsche Mundart, zum Aushängeschild im Schaukasten der Kirche Göhren wurden. Eine intensive Arbeit, die nur jene messen können, die Schrift „malen“ können und diese, die je versucht haben, das Hochdeutsche ins Plattdeutsche zu bringen – sprechen mag noch möglich sein, Schreiben aber eine weitaus schwierigere Angelegenheit. Noch dazu die regionalen Besonderheiten es erlauben, Worte in ein anderes Plattdeutsch zu interpretieren. Die Mutter unserer Kantorin hörte sich um, ließ Einheimische Platt sprechen, nutzte auch mal „Dat ni Testament“.
Was uns bleibt
Jahrzehntelang, jeden Monat neu, nahmen diese Blätter von Greifswald aus den Postweg zu unserer Kantorin, Barbara Hesse nach Göhren, fanden ihren Platz im Schaukasten und im Gemüt der vielen Kirchenbesucher.
Bis in das Jahr 2022. Nun, im biblischen Alter, konnten die von Hand geführten feinen Federzeichnungen die Schrift nicht mehr halten.
Die Monatssprüche gibt es dennoch, in Hoch- und in Niederdeutsch zur Freude aller, die am Schaukasten vorüber gehen, Technik macht dies möglich.
Und auch mich begleiten sie weiter als Monatsspruch für jeden Blogbeitrag, und für alle Leser, die nicht direkt vorbeigehen können.
Voller Dankbarkeit lese ich, schicke einen Gedanken nach Greifswald und an den alten, so gewichtigen Satz, der vielleicht der Ursprung war:
„Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift“.