Urlaub in Göhren auf Rügen – Ein Kommentar
„Wenn Rügen, dann Göhren“ skaliert ein geschäftstüchtiges Unternehmen unseren Ort als den einzig rechtmäßigen auf der Insel Rügen. Was nicht nur reichlich anmaßend ist, sondern auch grundlegend falsch.
Und wirkt, angesichts der völlig überdimensionierten Anzahl Urlauber nebst Pkw und familiengebundenen Hundescharen, schon fast wie eine Drohung. Denn unser Ort ist in seiner besonderen topografischen Gestalt, in seiner einzigartigen Lage auf dem Nordperd, auch noch eine Sackgasse.
Wer hier die schöne, geschwungene Straße zum Ortskern vom Ostseebad Göhren hochfährt und einen Rundumblick wagt, der begreift: Hier wendet man sein Gesicht immer dem Wasser zu. (Wie Du bereits in meinem Blogbeitrag „Wanderweg durch das Göhrener Hövt“ erfahren hast.)
Man kann also so einfach und so ganz schnell nicht wieder weg, es droht ein Stau. Die Zahl der Autos, die täglich über den „Mönchgraben“ fahren, bleiben erstaunlich stabil, standen kürzlich durch eine Verkehrszählung festgehalten bei der imposanten Zahl von 17.000 – ich wiederhole: Täglich!
Drum: „Wenn du nicht artig bist, gehts zum Urlaub nach Göhren.“.
Das Besondere am Ostseebad Göhren
Nein, ganz so gruselig ist es natürlich nicht. Die soeben beschriebene Situation der „Sackgasse“ hat auch ihr Gutes, nämlich die Einmaligkeit zweier Strände, die völlig unterschiedlich in Charakter, Windrichtung und Badekultur, unseren Ort umgeben. So ist Göhren auf Rügen der Badeort mit dem doppelten Gesicht, den zwei Gesichtshälften. Und die Nase ist unsere Durchfahrtsstraße von der B196, hoch zur Ortsmitte und wieder runter zum Campingplatz zurück, wieder fort.
Und auf dieses „doppelte Gesicht“ sind wir natürlich stolz – Wer hat das schon? Zwei wunderschöne Strandbuchten in absolut anderer Gestalt, anderem Charakter?
Hier die sanfte, unspektakuläre Badebucht zum Greifswalder Bodden mit Blick auf die beiden kleinen Inseln Öhe und Ruden, dazu feinster Sand, flaches Wasser, Nackedeis (FKK), Hundeburgen und Ruhe. Nullnix von wegen „touristisches Angebot an der Flaniermeile“.
Dort die Bucht „Nordstrand“, einmalig schön, im großen Bogen geschwungen bis Sassnitz und noch weiter, bis der Blick an den Kreidefelsen hängen bleibt. Und dazu Badepolizei (Rettungsschwimmer vom DLRG), Eisverkäufer, Musikpavillon, Boutiquen und ähnlicher Familienspaß und Strandkörbe.
Na endlich. Strandkörbe in überdimensionierter Anzahl, massenweise sozusagen. Jedem sein kleines Strandhäusl, für jeden – der es bezahlen kann – ein Strand-Tinyhouse. Der gesamte Hauptstrand eine Ferienhauswohnanlage, eine Strandkorbsiedlung so weit das Auge blickt. Da stehen sie, preußisch ausgerichtet. Schön ist anders.
Und nun frage ich mich: „Wenn Rügen, dann Göhren“? Die Antwort ist: JA! Denn, was lernen wir aus diesen beiden unterschiedlichen Strandsituationen?
Hier darf der Mensch wählen
Nichts Geringeres, als dass Gegensätze der Motor unseres Lebens sind. Nur in der Auseinandersetzung mit dem Anderssein, in der Konfrontation mit dem Gegenstück ist Bewegung, liegt Erkenntnis, die Wurzel zu Neuem und zur Veränderung. Und, wer die Wahl hat, darf sich entscheiden. Eine Entscheidung erfordert Nachdenken – und das alles in Göhren auf Rügen! Wer hätte das gedacht? Doch ein Badeort mit Anspruch.
Und deshalb – so rein philosophisch betrachtet – ist echt etwas dran an dem Werbespruch: „Wenn Rügen, dann Göhren“. Auch wenn der Vater des Gedankens eher nicht die monetären Beziehungen im Blick hatte, was bleibt, sind unsere wunderschönen und einzigartigen Badebuchten am Nord- und am Südstrand. Wer sie findet, findet ein Sommerglück.
Und dann weiß er: „Wenn Rügen, dann…“. Na, das sagte ich schon.
Nachtrag: Wenn Gedanken gleiche Wege gehen
Nachtrag: Wieder mal unterwegs in der schönsten Stadt Norddeutschlands: Stralsund. Wieder mal das Hafenflair, die Altstadt genossen und – das geht gar nicht anders – nachhaltig Stopp gemacht im Kultur-Kunst-Eck in der Fährstraße am alten Markt.
Dort findet sich nicht nur ein Café mit erlesenen Speisen, dort kann man gleich gegenüber selten-gute Literatur erlesen und erleben.
(Ich habe bereits einen Blogbeitrag über PlusBuch in Stralsund geschrieben).
Dort findet der Stadtbesucher handgemachte Keramikkunst vom Feinsten. Ein Angebot, das derart komprimiert zur Herausforderung wird.
Verweilen, staunen, kaufen und beglückt von dannen ziehen. Genau das hatte ich, in dieser Reihenfolge, vor.
Und dann stutze ich – der Keramikmeister stellt auch Ansichtskarten her?!
Ich entdecke Postkartenserien mit witzigen, anspruchsvollen, sehr individuellen Sichtweisen auf die Dinge des Lebens.
Die meisten Touristen sind nett
Und dann finde ich sie: Die Postkarte, die gerade zu meinem Monatsthema für den aktuellen Blogbeitrag passt: Die Strandkorbparade, die militärisch einwandfrei angeordnete Kompanie der Strandkörbe, die mir in ihrer völlig überdimensionierten Anzahl in der Bucht von Baabe bis Göhren fast die Augen verblitzt und den Atem verschlagen hat. Und dies mit der Überschrift: „Die meisten Touristen sind nett“.
Ist das ein Versprechen für gutes Gelingen auf engstem Raum?
Oder ein Versprechen, dass nicht alles so schlecht ist, wie es aussieht?
Ein Trost, wenn man vor Entsetzen den Kopf in den Dünensand stecken möchte?
Oder die Hoffnung auf eine Begegnung mit netten Menschen, die diese unbegreifliche Formation forträumen werden?
Ist es die Aussicht auf einen Traum, der doch noch gut ausgehen möge, obwohl doch alles bereits ausgeträumt ist?
Macht euch mal eure eigenen Gedanken, sagt mir der Hersteller dieser Ansichtskarten, findet eure eigene Meinung, bezieht Position, denn eins ist hier klar: Nett sein ist die kleine Schwester von Sch…lecht sein.
Filmtipp: „Wem gehört mein Dorf?“
„Wem gehört mein Dorf?“, diese Frage stellt sich unser Freund und Regisseur Christoph Eder in seiner preisgekrönten Dokumentation über unseren Heimatort. Darin wird die Auseinandersetzung um die Zukunft unseres Dorfes beleuchtet. Denn zwischen Tourismusboom und lokaler Identität entspinnt sich ein Kampf um die Gestaltung des gemeinsamen Lebensraums.
Christoph zeigt in seiner Doku, wie radikal sich unser kleiner Ort in den letzten Jahren durch den Tourismus auf Rügen verändert hat. Während sich einige Bewohner über die wirtschaftliche Entwicklung freuen, wächst bei anderen der Widerstand gegen den vermeintlichen „Ausverkauf“ der Heimat. Der Film wirft somit grundlegende Fragen nach der Zukunft kleiner Gemeinden in Zeiten der Globalisierung auf.
Wenn Du den Film noch nicht gesehen hast, dann kannst Du ihn ganz einfach auf der Webseite von „jip film & verleih“ für 4,99 Euro kaufen und online schauen.