Besondere Begegnung auf Plattdütsch – erlebt, erzählt
Es gibt Momente, die bleiben als ein Lächeln. Begegnungen, die wie ein Lichtlein sind. Ja – Kitsch im Alltag. Dennoch – ich halte es fest, das kleine Licht und gebe es hier gerne weiter.
Unsere Halbinsel Mönchgut auf Rügen – die Besondere, Schöne, Geheimnisvolle – tut nicht nur dem Auge gut, sondern zieht mit ihrer Einzigartigkeit auch quer durch die Seele. Jedenfalls garantiert immer dann, wenn es gelingt, den Alteingesessenen „auf den Mund zu schauen“: Das alte, gute Mönchguter Plattdeutsch zu hören.
Eigentlich unbeschreiblich ist diese Mundart Labsal für die Seele. Ich spitze bei jeder Begegnung immer eifrig die Ohren, verstehe inzwischen jedes Wort, aber die praktische Anwendung im Gespräch erfordert noch einige Mühe und Zeit. Dennoch, höre ich gut hin, wird es immer ein reines Vergnügen und der Anfang von einer Geschichte, die man sich nur hier, auf Mönchgut, so weitererzählen könnte.
Vor unserem Einkaufsmarkt stehen zwei alteingesessene Mönchguter und betrachten versonnen die Weihnachtsdekoration: Kerzen, Engel, Weihnachtsmänner, bunte Lichterketten.
„Ik köf nix mier, ik häw so väl – ik bün een Hechup“, höre ich die Eine sagen und höre erstaunt, wie sie zur Antwort bekommt: „Ik bün ook`n Hechup“.
Stopp mal. Ich kenne sie alle beide seit Jahrzehnten. Ich weiß, wie sie heißen, wo sie wohnen. Ich weiß, dass sie nicht krank sind. Ich kenne ihren beruflichen Lebensweg, ihre Kinder, warum zum Kuckuck sind die beiden „een Heechup“?
Nachgefragt
Da ich im Mönchguter Raum bekannt bin für Nachfragen und Nachforschen, hielt sich die Verwunderung darüber, dass ich abrupt Halt machte bei ihnen, in Grenzen und meine Frage: „Wer oder was ist ein „Hechup“ wurde milde belächelt.
„Könnst ook seggen: Härchup“, wird mir erklärt und: „Sächt jeder büschen anners, um de Eck`, bi Nahwärs, dor wierd dat schon anners vertellt.“.
So war kein Weiterkommen, das wurde mir klar, aber, da ich nicht lockerließ, bekam ich eine Einladung ins „Hinterland“: „Küm eis kieken“ – und das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
„Un hier steiht nu Wihnachtsmann bi Wihnachtsmann“
Seit der Wende und seit dem Umgang mit den endlosen, übervollen Regalen in den Einkaufsmärkten macht mich die quantitative Überhöhung einer Produktkette nicht mehr nervös, selbst das kuriose Angebot an Schokoladenweihnachtsmännern lässt mich kalt, schließlich leben wir in einer Demokratie.
Worauf ich aber dort im alten Mönchgut, bei – nennen wir sie mal „Frau Hechup“ im Wohnzimmer traf, überstieg alles bisher Gesehene.
Ich stand, Aug-in Aug, vor einem Heer Weihnachtsmänner, 134 Exemplare, in Reihe verteilt auf der Fensterbank, über dem Tischregal, in Linie etagenweise in der Anbauwand.
Holzgeschnitzt, keramikgebrannt, aus Kerzenwachs gegossen: Der Größte über 40 cm. Der Kleinste würde in eine Kinderhand passen. Gesammelt in über 50 Jahren Familienleben, während unzähliger Urlaubsreisen, Ausflüge zum Weihnachtsmarkt, Stadtbummel.
Etliches kam als Geschenk – kurzer Gedankenweg – natürlich dazu, und – wichtig – nichts wurde aussortiert, entsorgt, verworfen, alles hatte seine Wertigkeit, wurde sorgsam aufgehoben, repariert und bekam als Familienerbstück einen besonderen Platz.
„Nein“, bestätigte mir „Frau Hechup“, wir haben uns in den vielen Jahrzehnten von keinem einzigen Exemplar getrennt: „Ik bün eben een Hechup“.
Weihnachtsdeko sammeln: „Du sühst överall wat“
Gesammelt wurde immer, auch im Sommer, die Jagdleidenschaft zog sich durch die ganze Familie. Und: „De Kierl wier schlimmer, as ik“, wird mir berichtet, denn wenn „Frau Heechup“ ihre Runde über einen Verkaufsmarkt gemacht hatte, ging der Ehemann noch mal die Reihe entlang: „Hei müd ok noch eis kieken.“.
Weihnachtsraritäten en masse
Mit den Jahren entwickelte sich in der Familie ein besonderer Blick auf die entsprechenden Weihnachtsraritäten. So wurde mir von einer Urlaubsreise berichtet, bei der zwei schöne Schnitzfiguren als Dekoration im Frühstücksraum drapiert waren und natürlich nicht mehr aus den Augen gelassen wurden: „De nähm ik äwer mit – de lod ik nech stohn“, hörte „Frau Hechup“ ihren Ehemann sagen und nach erfolgreicher Verhandlung zogen Weihnachtsmann und Nussknacker um zur Insel Rügen.
Weihnachtsmann mit Geschichte
Dabei war das Sammeln und Aufstellen nur eine äußerliche, logistische Handlungsabfolge, wesentlich gewichtiger sind die Erinnerungen, die kleinen Geschichten, die gemeinsam erlebten Episoden, die jeder Weihnachtsmann in seinem Rucksack verborgen hält, die jeder Engel, alle die Nussknacker erst zu einem einmaligen Mitglied in der riesigen Familie der Figuren machte.
Ich durfte sie alle in die Hand nehmen, sie bestaunen und an den berührenden, sehr emotionalen Lebenswegen teilhaben. Und ich begriff, dass diese riesige Brigade Weihnachtsfiguren nicht einfach nur Dekoration, sondern in den langen Jahrzehnten zu Vertrauten geworden waren.
Behalten und Bewahren
Sich von einem dieser Weihnachtsmänner, Engel, Nussknacker trennen? Ausgeschlossen! „Denn“, so wurde mir erklärt, „die Bezeichnung Hechup mag sich lustig und leicht anhören. Das Behalten alleine ist nur die eine Seite, dahinter aber steht die ständige Grundsatzfrage: Kann ich mich nicht trennen oder will ich mich nicht trennen?“. Und letztendlich die Frage nach dem Unterschied von „Wollen“ oder „Können“.
Angesichts der 134 Weihnachtsfiguren, ausgerichtet in einer Reihe in einem völlig arglosen, harmlosen Wohnzimmerflair und mit meiner Frage nach dem Unterschied zwischen „Wollen“ oder „Können“ konfrontiert zu werden, gab dem „Hechup“ plötzlich eine philosophische Schwere, mit der ich nicht gerechnet hatte.
„Das haste nun davon“, ging mir durch den Kopf, einfach mal fragen und bisschen etwas aufschreiben. Nein, so funktioniert das nicht auf Mönchgut, hier verbirgt sich hinter jeder Besonderheit – gleich wie wichtig sie erscheinen mag – eine Lebensgeschichte, einzigartig, interessant, bemerkenswert.
Nehmen wir diesen Denkansatz mit in das neue Jahr 2025: Irgendwie und auf irgendeine Weise ist Jeder von uns ein „Hechup“. Vielleicht ist es jetzt an der richtigen Zeit zu überlegen: Was möchte ich behalten – wovon sollte ich mich trennen, was vom Alten bewahren, was vom Neuen hinzufügen.
Keine leichte Angelegenheit. Zur Not hilft Beten. Auf geht`s, wir wünschen euch dabei gutes Gelingen.
Weihnachtsgebet auf Plattdeutsch von 1925
„Wihnachtsmann, kiek mi an,
lütten Kierl bün ik man,
Väl to seggen weet ik nech,
Wihnachtsmann vergät mi nech“
© Foto von Marja Kossi