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Spaziergang mit der Katze

Blogger 24. Januar 2020Januar 28th, 2024Göhren, Inselgeschichte(n), Katze, MV, Rügen-Blog, Streifzüge, Tiere

„Und es war Winter, das letzte Mal im Leben“

Der Monat Dezember 2010 verabschiedete sich mit einer prallen Ladung Neuschnee. Es schneite die ganze Nacht hindurch, auch den nächsten Tag und wieder bis in die Nacht hinein. Wir standen am Fenster und fragten uns: „Hört die weiße Pracht gar nicht mehr auf zu fallen?“.

Doch, das machte sie irgendwann. Sanft lehnte sich die Welt um uns herum zurück, grinste sich eins und versprach Preise an Denjenigen, der sein Auto zuerst findet.

Eingeschneit auf Rügen

Der erste Preis war bereits vergeben: uns weckte der Nachbar mit seinem Schaufel- und Schiebegeräusch vorm Haus, aber – noch könnten wir punkten! Raus in den Schnee, Weg freischaufeln, Treppe… nix Auto.

Ich hatte die Richtung verwechselt, wie immer. Die Massen an Schaufelschnee immer flott abgeladen – Ja, wo soll man auch hin damit? – auf dem Parkplatz vorm Haus. Kein Kommentar bitte.

Irgendwie schafften wir es gemeinsam und erarbeiteten uns einen Trampelpfad zu den Türen, zur Straße, zum Briefkasten, was ich, genaugenommen, schade fand. Sie hatte was, diese weiche, weiße, konturenlose Decke über unsere schnöde Realität. Und die bekannten Wege neu suchen zu müssen, fand ich aufregend. Eingeschneit auf Rügen, es gibt Schlimmeres.

Schneekatze

Nicht so meine Katze. Die verweigerte, angesichts der Schneewelt, jegliche Aktivität im Freien. Die wechselte allerhöchstens ihren Liegeplatz von Sofa zu Bett zu Sofa. Jedenfalls so lange es nur ging, doch irgendwann ging gar nichts mehr – sie musste aufs Klo!

Dazu eine Erklärung: Unsere Katze kennt kein Katzenklo in der Wohnung, sie war immer Freigänger und hatte beizeiten ihr Wildleben-Klosett, schnell zu erreichen über die Straße in den Wald. Doch, wie das jetzt bei meterhohem Schnee vor der Tür? Wo sollte sie hygienisch einwandfrei verbuddeln?

Sie machte zwei Schritte in die weiße Pracht hinaus, setzte sich hin, guckt mich vorwurfsvoll an und beanstandet die unakzeptable Sachlage mit ihrem klagenden „Miau“. Danach wollte sie sofort wieder unter Dach bzw. aufs Sofa.

Der Trick mit der Katze

Ich begriff, so geht das nicht. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Ich also schnell in die Stiefel, Mantel über, Katzenleckerli gegriffen und raus zu der vom Schnee angewiderten Katze. Und dann sah mich die erstaunte Nachbarschaft einen winzigen Trampelpfad schaufeln rüber zum Wald und tatsächlich – die Katze folgte mir. Geschäft erledigt, Leckerli abgefasst und im Schweinsgalopp zurück ins geschützte Revier.

Oh Mann, war ich stolz auf meine kluge Katze.

Die Chefin spricht

Dieses fröhlich warme Gefühl hielt bei mir an, bis die Katze wieder aufs Freilandklo musste. Sie baute sich vor mir auf, fixierte mich gnadenlos und fing an zu klagen. Wer die Katzensprache nicht kennt, hätte meinen können, ihr sei etwas Schlimmes passiert, mit Schmerzen ohne Ende – es hörte sich gar fürchterlich an.

Aber Katzenkenner wissen, wovon ich rede, man kommt an diesen Jammerlauten einfach nicht vorbei! Ich also schnell in die Stiefel, Mantel über, raus in den Schnee, Trampelpfad entlang, Katze immer hinterher. Katzenklo gefunden, Geschäft erledigt, fix zurück.

Katzentraining

Nun ist das ja so mit Katzen im Winter, das sie 24 Stunden am Tag relaxen können. Sie bewegen sich maximal von einer Schlafposition zur anderen und sie werden dabei immer runder. Unsere Katze sieht im Januar eher aus, wie eine Raupe. Oder, wie ein Muff mit vier kleinen Pfoten. Eher Letzteres, denn ein Muff hat überhaupt keinen Bewegungsradius. Ich sah das mit Sorge. Und mir kam eine Idee. Was, wenn ich unseren gemeinsamen Klo-Gang ausdehnen würde zu einem Spaziergang ums Haus? Würde sie mir folgen?

Tatsächlich, es war fast nicht zu glauben, aber sie trottelte mir tatsächlich hinterher, wie ein Hund. Ich erfand eine Art Lockruf, wenn sie Streikversuche machte und auf halber Strecke verharrte und wirklich, sie kam mit mir mit.

Beiläufig erweiterte ich unsere Trainingsstrecke: einmal ums Haus, noch mal in entgegengesetzter Richtung und immer weiter fort bis in den Wald hinein. War es die Aussicht auf Leckerli, eine erforschbare Kameradschaft oder nutzte die Katze nur wieder mal ihre Chance auf willige Dienerschaft – das lässt sich mit Sicherheit nicht klären. Unsere Katze hatte nun ihr Ritual: jeden Abend baute sie sich vor mir auf, ließ ihren Klagelaut ertönen, eilte vor mir zur Tür, wartete bis ich in Stiefel und Mantel war und dann gingen wir beide „Gassi“.

Meine Katze und ich, und zwar bei jedem Wetter. Jawohl – selbst bei fiesem Nieselregen lief sie neben mir her.

Und nachts sind alle Katzen grau…

Wir hatten inzwischen verschiedene Strecken, die wir, je nach Wetter oder Laune, wechselten. Auch musste darauf geachtet werden, nicht mit den Hundebesitzern zu kollidieren. Was sollte ich erklären, wenn ich alleine auf der Straße herumstand (die Katze schmiegte sich derweil unsichtbar, ganz flach oben auf der Mauer, um den Hund im Visier zu haben), sollte ich sagen: „Gehen Sie mal fix weiter, ich bin hier mit meiner Katze unterwegs?“.

Diese gemeinsamen Runden absolvieren wir seit Dezember 2010. Und zwar in jedem Jahr bis Ende März, dann ist Sommerpause, um im November dort wieder anzuknüpfen, wo wir im Februar aufgehört haben.

Inzwischen kennt uns die ganze Straße und hat unsere Spaziergänge akzeptiert. Die Witzeleien haben aufgehört, man grüßt sogar die Katze und hat uns schon fotografiert.

Aber, unsere Katze wird in diesem Sommer 14 Jahre alt. Sie sieht und hört nicht mehr so gut. Ich muss in unmittelbarer Nähe bleiben, mein Lockruf wird immer lauter und neulich sah ich, wie sie sorgfältig eine Pfütze umrundete, Anlauf nahm und in die nächste Pfütze reinplatschte – peinlich, sie hatte sie nicht gesehen.

Die Spazierstrecken am Stück werden immer kürzer, immer öfter macht sie Pause, setzt sich und fixiert unendlich lange ihre Umgebung. Ich stehe frierend daneben, warte und denke: „Wenn das so weiter geht, hole ich mir eine doppelseitige Lungenentzündung!“.

Kleine Lebensgemeinschaft

Und dennoch gehe oder stehe ich gerne mit meiner Katze spätabends in der Gegend herum. Wir haben gemeinsame 30 Minuten der Entschleunigung, des friedlichen Nebeneinanders, ich schaue in die Sterne, denke über irgendetwas nach oder singe. Wenn ich nach der Katze rufe, antwortet sie, bin ich mal etwas weiter fort, sehe ich sie eilig mit schnellen Schritten herbeieilen. Wir sind nicht allein in der Nacht, wir haben uns, wir quatschen ein wenig miteinander, ein schönes Gefühl.

Katzen können noch sehr viel älter als nur 14 Jahre werden. Dennoch gehen unsere Überlegungen so langsam in Richtung „Patientenverfügung Katze“, denn wir sind ein gut ausgebildeter Pflegedienst. Wenn sie mal nicht mehr laufen kann, kommt sie in eine Babytragetasche und wir gehen so mit ihr unsere Spazierwege entlang.

Das jedenfalls haben wir den Hundebesitzern hier in der Straße etwas voraus, wir kennen die Rangordnung. Und so wird sich die altbekannte Weisheit erfüllen, denn: „Hunde brauchen ihren Herrn, Katzen haben ihr Personal.“.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!