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Tragödie auf der Insel Rügen

Blogger 16. Februar 2020Februar 18th, 2020Göhren, Inselgeschichte(n), Jagd, Rügen-Blog, Streifzüge, Tiere

„Die Sünn kickt blaß un swack hendal…“ – mutterseelenallein am Strand

Bin mutterseelenallein am Strand. Der Sturm hat tagelang über die Insel getobt und wer bisher noch keine Ahnung vom „Wilden Jäger“ hatte, der versteht sie jetzt gut, diese alte Sagengeschichte. Ich laufe meine Küstenlinien ab und registriere sehr deutlich, wie die Gewalt der Wellen das Hochufer verändert hat: große Abbrüche überall, noch nie gesehene Tonnasen ragen aus dem Dünensand, entwurzelte Bäume liegen quer, Steinstrand dort, wo noch nie einer war.

Der Sturm verändert die Küste auf Rügen

Und ein riesiger Teppich aus Tang liegt in der Bucht, fast 30 Zentimeter hoch. Ich spüre, wie ich deutlich munter werde, Sammelleidenschaft, Finderfreude, Überraschung auf… Bernstein!? Die Insulaner – die alten Indigenen der Insel Rügen – wissen, wo und wie man jetzt auf Bernsteinsuche gehen muss, der angespülte Tang ist die beste Voraussetzung zum Finden. Die meisten Sammler finden auch, nur ich nicht, ich habe tatsächlich noch nie einen Bernstein gefunden, trotz aller Bemühungen, null, nix.

Wieder schicke ich meine verzagten Wünsche ins Universum und puhle intensiv im Tangteppich, ohne Erfolg – jammerschade. Aber, die große Bucht liegt ja noch vor mir, Sammelbecken aller Bernsteine, da muss doch was zu machen sein, mich treibt eine Art Jagdleidenschaft, und ich bin weit und breit alleine – denke ich…

Hund und Schwan – Keine gute Begegnung

Plötzlich höre ich Hundegebell, rasend, wütend, und nicht weit entfernt. Ist schon beachtlich, wie schnell Gemütszustände wechseln können, von gemütlicher Sammellust zur „Habacht-Stellung“ in Angst und Schrecken – vorsichtshalber entere ich den Baumwall hoch, der sich am Hochufer durch die Abbrüche gebildet hat.

Ich fühle mich dort oben, versteckt durch die Baumäste, sicher. Und ich habe einen guten Überblick. Leider hat diese weitsichtige Position nicht nur Vorteile. Was ich hier beobachte, hat mich sehr betroffen gemacht, und deshalb schreibe ich sie auf, diese Begegnung am Strand.

„Wat läwt, dat starwt“

Ob dort in der Ferne ein Bernsteinsucher oder einfach nur Herrchen und Hund unterwegs waren, lässt sich nicht mehr sagen, ich höre nur den Hund und sein wildes Gebell. Und ich höre Flügelschlagen, verzweifeltes Gerangel, Kampfgetümmel? Was ist da los?

Und dann sehe ich es: der Hund hat einen der Schwäne, die dort in der Bucht lagern und im Tang nach Futter suchen, aufgespürt und – was schlimm ist – offensichtlich erwischt. Der Schwan wehrt sich, er versucht zu fliehen und das Wasser zu erreichen. Und tatsächlich, er schafft es, schnell schwimmt er in tieferes Wasser, der Hund paddelt noch eine kurze Strecke hinterher, gibt dann auf und verschwindet am Ufersaum.

Ich atme auf. Gut gemacht, Schwan! „Das Schwein, der Hund“, denke ich und erstarre.

Der Schwan wird zur Jagdbeute

Der weiße Schwanenrücken wird blutrot, er ist schwer verletzt, seine Schwimmbewegungen werden immer mühevoller und langsamer, sein Hals senkt sich… „Nein, Schwan, nein!“… Doch.

„Wes still, min Hart. Wat kümmt, dat geiht“.

Es ist nicht allein die Tatsache, dass dort auf dem Wasser ein Schwan stirbt. Es ist nicht nur das Gefühl, dabei gewesen zu sein bei einer Tragödie. Selbst der Ärger über freilaufende, wildernde Hunde, die Wut über dämliche, verantwortungslose Hundehalter, alles das ist nicht so heftig, wie das Bild dieses sterbenden Schwans.

Wie er versucht, seinen Kopf zu halten, wie langsam sich der Hals beugen muss, mit welcher verzichtenden Gebärde er den langen Hals, den Kopf aufs Wasser ablegt, in die Wellen, wie er liegt und gewiegt wird.

„Du kemst allein un geihst allein…“ – Nein, nicht immer!

Ja doch, ich weiß, ich bin sentimental und ich reagiere überemotional, wenn es um Tiere geht, aber ich weiß auch, dass dieses Bild des letzten Aktes jeden Beobachter aus der Reserve gelockt hätte. Denn, als der sterbende Schwan in den Wellen lag, kam sein Partner, bisher im schützenden Versteck am Ufer verborgen, mit schnellem Flügelschlag herangeschwommen und hielt sich so dicht an seiner Seite, bis beide weit hinausgetrieben waren, dass sie nur noch als weißer Fleck auf dem Wasser auszumachen waren.

Da saß ich nun, lange. Bis es zu kalt zum Sitzen wurde. Und dachte an das Gedicht von Griese: „Wes still, min Hart. Nicks is, wat is, wat nich enmal tau Grunn`möt gahn.“.

Und eins ist klar, wäre ich des Hundehalters habhaft geworden, würde der jetzt dort schwimmen, in der Winterostsee, und zwar ohne Beistand und ohne Hose…

Wer hat mal gesagt: „Und in allem ist Trost?“.

Ich weiß es nicht mehr. Aber, als ich durch den Uferwald nach Hause ging, war er da mein Trost: die ersten Frühlingsboten, die tapferen Leberblümchen hatten sich durch das trockene Laub vergangener Monate gekämpft.

Unverdrossen grüßte mich diese Verwandlung in das neue Frühjahr, ins Werden hinein, mit Freude auf alles, was kommen mag. Danke an die „Blauäuglein“, danke an unsere Mönchguter „Ögens“.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!