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Weihnachten in Toruń (Polen)

Blogger 9. Januar 2020Polen, Reiseberichte, Rügen-Blog

Und: warum gerade Toruń?

Zur Überraschung aller, auch zur Verblüffung meines Mannes, verkündete ich im Herbst: „Dieses Jahr zu Weihnachten machen wir uns vom Acker, wir sind in Toruń!“. Was denn – wo wollt ihr hin? Allgemeine Ratlosigkeit: wo ist das denn?

Und: warum gerade Toruń?

Weil diese Stadt, aufgenommen in die Liste Unesco-Weltkulturerbe, eine äußerst interessante Geschichte hat, ein mittelalterliches Stadtbild, prächtige Patrizierhäuser, einen der größten, zentralen Stadtmärkte Europas, weil diese Stadt an einem Fluss liegt (der Weichsel / Wisla) , weil alle Städte am Fluss etwas Besonderes haben (sagt mein Mann) und nicht zuletzt, weil meine Mutter als junges Mädchen dort mal zur Ausbildung war.

Und warum zum Weihnachtsfest?

Weil die deutsche Weihnacht mal anders gesehen werden sollte, weil der alljährliche Rhythmus der Feierlichkeiten mal unterbrochen werden musste, weil wir fort wollten von Ente mit Rotkohl – oder vielleicht auch nur, weil Weihnachten in 2019 zeitlich so günstig im Kalender stand…

Ja, dies alles. Aber, der Reihe nach.

Die Vorbereitungen und die Fahrt nach Toruń

Zuerst Fahrziel Toruń angepeilt, Straßenlage geklärt, Entfernung gecheckt und begriffen: es ist, wie immer, wenn man sich von der Insel aus auf die Socken macht – immer benötigt man einen Tag zur Hin- und einen Tag zur Rückreise.
Immerhin, vorgegebene Fahrtzeit fast 8 Stunden.

Umgehend hatte ich die Auflage von meinem Mann: „Dieses Mal fahren wir echt zu der Zeit los, die wir uns vorgenommen haben, dann stehste mal ein bisschen eher auf…“. Gesagt, getan! Pünktlich los in aller Frühe, reibungslose Fahrt bis Toruń – mit Stopp in Szczecin zum Geldwechsel in einer Bank (ich sofort das erste Geschäft in Zloty getätigt und mir erfolgreich einen Kaffee to go besorgt!) und noch vor Dunkelwerden am Ziel – mitten in der Toruńer Altstadt, nur 10 Meter um die Ecke am Alten Markt.

Bei Filus um die Ecke

Völlig unproblematisch per Code die Wohnung bezogen – ein kleines, sehr individuell eingerichtetes Studio in einem schönen alten Geschäftshaus – und auch das Auto genauso selbstverständlich parken können, um die Ecke, auf einem 24-Stunden-bewachten Parkplatz zu sehr moderaten Preisen.

Freundlich begrüßt vom Denkmal für Prof. Filutek (Zbigniew Lengren) nebst Hündchen Filus.

Alles chic…

Blitzartig die Reisetaschen ausgepackt, die Küchenutensilien, Fressalien, Weihnachtsleckereien verstaut und los – ab auf die Promenade, kreuz und quer vom Alten Markt zum Neuen Markt, die wunderbar restaurierte, fast völlig erhaltene Stadtmauer entlang bis an die Weichselpromenade und zurück.

Bei diesem Rundgang habe ich mein Traumhaus entdeckt – ich, als polnische Modegestalterin, mit einer kleinen Boutique, irgendwann in einer anderen Zeit…

Bewegendes Polen

Der erste Eindruck war verblüffend nachhaltig: Menschenmengen flanierten ohne Unterlass und scheinbar ohne Ziel von A nach B, standen zusammen, unterhielten sich, schlenderten weiter, drehten irgendwann wieder um und begannen das Ganze von B nach A. Paare allen Alters, Familien in größeren und kleineren Gruppen, Kinderwagen, Rollstuhlfahrer, Kleinstkinder, Hunde, alles bewegte sich scheinbar ziellos durch die Innenstadt.

„Wo wollen die alle hin?“, wollte ich wissen – „na, dann frage sie“, sagte mein Mann. Ich habe natürlich nicht gefragt, ich habe dieses Spiel täglich beobachtet und begriffen, dass diese Art von Kommunikation zum Lebensgefühl der Polen dazu gehört, sie zeigen sich, sie begrüßen sich, sie bleiben in Kontakt.

Und dies vom Vormittag an, wenn die Läden öffnen, bis zum frühen Morgen die letzte Kneipe schließt – ganz knapp vor dem Läuten der ersten Kirchenglocken!

Meisterhaft restaurierte Altstadt von Toruń

Die restaurierte Altstadt ist zauberhaft und so wurde Toruń rundum zu einer phantastischen Entdeckung. Die Stadt ist bestes Beispiel für die weltmeisterlichen Fähigkeiten der Polen, Hansestädte eins a restaurieren zu können, keine Kriegsschäden, völlig intakte Stadtmauern / altes Schloss/ Wehrtürme, herrliche Patrizierhäuser und eine studentische Jugend, die einfach nicht tot zu kriegen war, es ging die Straßen rund, bis die ersten Morgenglocken läuteten – herrlich!

Gegenüber bei uns, der Döner-Laden machte um 3 Uhr morgens wieder auf, weil da der nächste Schwung Kneipenbesucher kam.

Wo bleibt der gewohnte Weihnachtsglimmer?

Dafür null Weihnachtsdekoration, echt gar nichts. Die großen Wohnblöcke der Neubausiedlungen am Stadtrand waren beängstigend trostlos anzusehen. Ein völliger Gegensatz zu unseren prächtigen, geschmückten Fassaden überall in Deutschland. Am Markt sah man wohl elektrische Illumination, das Gleiche auch in den Kirchen – aber sehr ausgesucht und tatsächlich beschränkt auf wenige, öffentliche Lokalitäten.

Weihnachten nicht nach außen gerichtet? Hinwendung zum Fest in der Familie? Vielleicht so zum eigentlichen Sinn in diesen Feiertagen?

Heiligabend unter anderem Stern

Heiligabend standen zwei deutsche Müllers dämlich und mutterseelenallein auf dem Markt herum, keine Kirche geöffnet, kein Mensch zu sehen, nix Christvesper – alle konzentrierten sich völlig auf ihre Familien!

Dafür knallen kurz vor Mitternacht sämtliche Türen auf, alles auf die Straßen, Kinder, Omas und Opas, Rollstühle, Hunde, Babys im Schlepp und um null Uhr in den Dom, es war, wie bei einer Montagsdemo in Leipzig, unglaublich. Wir immer mit. So auch in den Pubs, Clubs, Musikkneipen: alle dabei im Alter von 0 bis 100, und sie beginnen mit Musik, es folgt Rezitation, Kabarett, dann wieder Musik, zwischendurch Tanzen, dann ist mal bisschen Fußball im Fernsehen, dann hält jemand (vermutlich?) Bekanntes eine Rede – und zack – ist es 4.45 Uhr. Ab zum Döner und weiter in die nächste Kneipe. Halleluja.

Und alles ohne Hektik, ohne Radau, ohne besoffene Rüpeleien – sehr beeindruckend.

Grenzposten Dybow

Wer den Fußmarsch über die Weichselbrücke nicht scheut, kann auf Entdeckung gehen zu den – tadellos restaurierten – Ruinen der Grenzburg Dybow.

Sie wurde 1423 errichtet als Grenzposten gegen das Kulmerland, den südlichsten Teil des Deutschordensstaates, ist ein beeindruckendes Zeugnis bewegter Geschichte und man hat einen wunderbaren Blick auf die genau gegenüberliegende Altstadt mit Stadtmauer.

Und übrigens: für den Gourmet zu empfehlen sind alle Salate und Suppen mit Roter Beete, dazu das unglaublich vielfältige Angebot an Piroggen, und natürlich die stadtbekannten Lebkuchen, die „Pierniczki“. Die müssen in Spezialgeschäften erworben werden, aber, davon gibt es auch genug.

Alte Klosteranlage von Chelmno / Kulm

Wir haben diese Reise nach Polen als überaus entspannt, aufgeräumt und sehr friedvoll empfunden, mit einer Jugend, die ihrer Lebensfreude Ausdruck geben kann und mit Städten, die ihre funktionierende Infrastruktur vorzeigen können.

Lust auf mehr? Na, logisch – möglicherweise auf eine Paddelbootpartie in den Masurischen Seengebieten, es bleibt spannend!

Zum Schluss der Reise gönnten wir uns einen Abstecher nach Chelmno / Kulm, um das bekannte Rathaus, die beispiellos perfekt restaurierte Stadtmauer und die alte Klosteranlage bewundern zu können. Alles prächtig, wenn auch deutlich zu sehen war, dass es dieser Stadt an den Zuwendungen aus dem öffentlich gestützten Programm als Kulturerbe fehlt – Straßen, Häuser, Plätze erinnerten in ihrem morbiden Charme an unsere Denkmalpflege zu DDR-Zeiten.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!