“Schnurren, Schwänke und Erzählungen von der Insel Rügen“
gesammelt und herausgegeben von Dr. Alfred Haas, Greifswald 1899
In loser Folge möchten wir euch eine kleine Rarität vorstellen.
Was ist das Besondere an der Sammlung von Dr. A. Haas?
Dr. Haas wurde bekannt durch seine umfassende und annähernd vollständige Sammlung der Sagen und Märchen von der Insel Rügen, herausgegeben im Jahre 1891.
Im Zuge der jahrelangen Sammeltätigkeit entstand, sozusagen als Nebenprodukt, eine Dokumentation interessanter Überlieferungen des Volksmundes. Episoden, kleine Begebenheiten, ja manchmal gar witzige Dialoge, die, weil nur mündlich existent, sehr lässig weitergegeben wurden. So zeigen sie in unvergleichbarer Weise den Mutterwitz und die Lebensweisheit der Fischerbauern auf Rügen (Haas nennt oft auch den Bereich „Pommern“) und nur dem Volkskundler Dr. A. Haas ist es zu verdanken, dass sie notiert und nicht vergessen wurden.
So begann er, unterstützt durch seinen Bruder, den Predigtamtskandidaten Otto Haas, seit 1896 intensiv an seiner Sammlung mündlicher Überlieferungen zu arbeiten und fügte den „Schnurren, Schwänken und Erzählungen“ am Schluss eine Sammlung volkstümlicher Rätsel von der Insel Rügen und einen Abschnitt „Ortsneckereien“ zu.
Worum ging es vor über 100 Jahren und was ist heute wichtig?
Im Vorwort seiner Ausgabe von 1899 schreibt Alfred Haas: „Was den Zweck der vorliegenden Publikation betrifft, so gilt dafür dasselbe, was ich bereits im Vorwort zur Auflage der „Rügenschen Sagen und Märchen“ gesagt habe.
Einerseits hoffe ich, dass es meine rügenschen Landsleute nicht ungern sehen werden, wenn sie die volkstümlichen Überlieferungen der engeren Heimat, mit denen sie aufgewachsen und groß geworden sind, in einer besonderen Sammlung vereinigt finden und nachlesen können; andererseits aber dürfte auch vielen auswärtigen Verehrern der Insel Rügen, welche alljährlich zu einem längeren oder kürzeren Aufenthalte dorthin kommen, eine derartige Sammlung nicht unwillkommen sein.“
Genau das hoffen auch wir und schließen uns an.
Manches wird altertümlich und in Plattdeutsch und nicht leicht verständlich sein, aber Spaß machen beim Lesen wird es allemal. Viel Vergnügen!
Wer war Doktor Alfred Haas?
Zuallererst war er ein Kind der Insel Rügen. 1860 in Bergen geboren, ging er in Putbus, im Pädagogium, zur Schule.
Anschließend studierte er in Greifswald alte Sprachen und Geschichte und promovierte 1884.
1885 bestand er das Examen für das höhere Lehramt und arbeitet bis zu seiner Pensionierung, 1925, am Städtischen Schiller-Realgymnasium in Stettin.
Alfred Haas widmete sich gänzlich der Geschichte Pommerns, vor allem aber der Volkskunde und gilt als der bedeutendste Sagensammler Vorpommerns.
Er war Herausgeber der ersten volkskundlichen Fachzeitschrift, „Blätter für Pommersche Volkskunde“ und seine beiden Bände „Rügensche Sagen und Pommersche Sagen“ erreichten zahlreiche Neuauflagen. Darüber hinaus publizierte A. Haas zur Geschichte Arkonas, zur „Lubinschen Karte“, zu Burgwällen und Hünengräbern auf Rügen und arbeitete am Werk „Die Tiere im pommerschen Sprichwort“.
Nach einem Bombenangriff 1944, in dem seine Wohnung in Stettin zerstört wurde, zog Doktor Alfred Haas zu seinem Bruder zurück zur Insel Rügen, in die Geburtsstadt, wo er 1950 starb.
Der Alte Fritz (König Friedrich der Große) und der Matrose
Ein von der Insel Rügen gebürtiger Matrose kam eines Tages nach Berlin, um sich die Stadt zu besehen. Da Seeleute auf dem Lande sehr schwerfällig und schlecht zu Fuß sind, so mietete sich der Matrose ein Pferd, um in der Stadt umherreiten zu können. Als ihm das Pferd vorgeführt wurde, setzte er sich verkehrt in den Sattel (hei wier so lütt bäden duhn), sodass sein Gesicht nach dem Schwanze des Pferdes gerichtet war. In dieser Stellung ritt er zum großen Vergnügen der Jugend mitten durch die Straßen und so kam er auch in die Nähe des königlichen Schlosses, wo gerade der Alte Fritz am Fenster stand.
Als dieser den sonderbaren Reiter bemerkte, schickte er seinen Hofnarren auf die Straße und ließ ihn fragen, „was es anliege.“.
Der Matrose glaubte, der König wolle wissen, welchen Kurs er steuere und antwortete daher: Er selbst wisse nicht recht Bescheid damit, der Fragende möge sich lieber bei dem erkundigen, der hinten in der Kajüte wohne.
Als der König diese Antwort vernahm, gefiel sie ihm so gut, dass er den Matrosen zur Mittagstafel befahl. Als dieser sich pünktlich einstellte, ließ der König ihn zu seiner Linken Platz nehmen, während der Hofnarr zur Rechten des Königs saß.
Der Hofnarr zürnte aber dem Matrosen, weil dessen Antwort dem König so gut gefallen hatte, deshalb suchte er, ihn zu blamieren und bei dem König in Ungnade zu bringen.
Um dies zu erreichen, erhob er sich plötzlich, schlug seinem rechten Nebenmann, einem hohen Offizier, eine schallende Ohrfeige und sprach: „Gebt ’s weiter!“.
Der Offizier schickte die Ohrfeige mit denselben Worten weiter und so kam sie schließlich auch an den Matrosen.
Dieser war in großer Verlegenheit: einerseits wusste er sehr wohl, dass er die Ohrfeige nicht weiterschicken durfte, wenn er nicht sein Leben riskieren wollte. Anderseits durfte er sie auch nicht behalten, wenn er nicht vor der ganzen Tischgesellschaft blamiert sein wollte.
Deshalb kommandierte er laut: „Re!“* und gab die Ohrfeige dem zurück, von dem er sie soeben bekommen hatte. Auf diese Weise kam sie, zum großen Vergnügen des Königs an den Hofnarren zurück, der sie natürlich auch nicht weitergeben durfte. Und so hatten alle Gäste des Königs zwei Ohrfeigen und der Matrose allein nur eine Ohrfeige bekommen.
Aus Putbus, mündlich an Alfred Haas weitergegeben.
*Re: abgekürzt aus retour, lautet auf Schiffen das Kommando, wenn beim Kreuzen die Segel gewendet werden, oder – wie es seemännisch heißt – „wenn das Schiff übergehen soll“.