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„Open Stage“ im Kunst- und Kulturverein „La Grange e.V.“

„Ihr habt ein Talent? Wir haben die Bühne!“

Das Motto „Ihr habt Talent, wir haben die Bühne“ hat uns eines Nachmittags zur „Open Stage“ in den „La Grange e.V.“ gelockt. Der Kunst- und Kulturverein ist in Bergen auf Rügen beheimatet. Lasst Euch nicht vom ungewöhnlichen Erscheinungsbild verunsichern, denn ein Besuch lohnt sich wirklich.

Außengelände, Hallen-Haus und offene Bühne

Ein riesiges offenes Hallen-Haus und eine offene Bühne. Prima, aber für wen bei dieser brütenden Hitze? „Skeptiker können draußen bleiben, da gehören sie hin“, sagt mir einer der fröhlichen Jungs, die an den Bauten im Außengelände werkeln. Ich fühle mich ertappt und stelle sofort meinen Gesichtsausdruck um in konzentriertes Interesse. Wie nahe ich damit tatsächlich der Wirklichkeit gekommen bin, zeigte sich in den nächsten Stunden.

Hier (auf Rügen) blüht Dir was

Die Straße, die „zu den Brettern, die die Welt bedeuten“ führt, ist eher eine Landung auf einem Gelände für Bauingenieure mit „Grünem Daumen“.

Und in einem der locker verteilten Korbsessel könnte ein freundschaftlich gesinnter Finanzmagnat lümmeln – dann hätten wir die drei vom „La Grange“ als perfekte Mischung. Ist noch nicht ganz so, sollte werden, wird vorerst kompensiert durch 100 Prozent Kultur.

Und so stehe ich da total verblüfft in einer kleinen, feinen Kräuter-Wiesenblumenlandschaft, liebevoll arrangiert in Töpfen, Kübeln, Pflanzkästen, Hochbeeten, wunderschön, vielfarbig und lebendig und jung vor der Kulisse der alten Industriehalle.

Ich bin mir sicher: hier war eine Fachfrau am Werk! (In Wahrheit erhält der Verein ehrenamtliche Unterstützung u.a. von Herrn Will Senior).

„Auch“, lächelt einer der fröhlichen jungen Männer meine Frage weg, denn es gibt durchaus Menschen, die wieder ins Gleichgewicht kommen und ihre Seele heilen beim Gärtnern. Die hier mit Freude aussäen, wachsen und gedeihen lassen, Namen möchten nicht genannt werden. Aller Anliegen liegt in der Mitarbeit aller.

Unmögliches scheint nur so

Neben der selbstgebauten Außenbühne (Respekt, wer`s selber macht) erstreckt sich ein wilde Wiesenfläche. Hier, so vermute ich mit spitzer Zunge, haben entweder die ausgesäte Mischung Wildblumen oder der therapeutische Gärtner aufgegeben.

Mitnichten, hier soll ein Erlebnisbereich „Strand“ entstehen. „Leute“, sage ich, „veralbern kann ich mich alleine, das bedeutet erstmal heftig um grubbern, dann eine Unmenge Sand aufbringen und das Ganze auch noch mit Strandkorb zum Outdoorfeeling umzugestalten.“.

„Genau“, sagt mein frohgestimmter Gesprächspartner und fast hätte er mir auf die Schulter geklopft, denn es schien ihm, als hätte ich kapiert. (Mittlerweile sind ca. 40 Tonnen feinster Sand geliefert worden und es entsteht ein Beach-Volleyballplatz).

Innovation aus Kunst und Kultur live erleben

Doch, tatsächlich, das habe ich. Wenn auch noch nicht in diesem Moment, eher im nachdenklichen Abspann, als ich begreife, dass diese Mischung aus innovativer Idee und harter Arbeit der Motor ist für alles, was dort entsteht im Kunst- und Kulturverein.

Inzwischen hatte sich der Außenbereich geleert, aus der Halle tönten Musikakkorde, weg von der Blume, ran an die Bühne.

Durch eine Halle mit viel Beton, Stahl und Glas hindurch, an noch mehr Sitzgruppen, Kunst und Grafiken vorbei, finde ich das Herzstück des Nachmittags: Bühne, Tresen, Technik und eine Gruppe junger Leute, die gelassen auf das warten, was kommen soll.

Das Leben sollte eine „Open-Stage“ sein

Kurzer, intensiver Check bei der Technik im Backline-Bereich der Monitorboxen, Mikrophone, Aufnahmeleitung und dann legen sie los, drei flotte Musikanten auf der symphonischen Suche nach Einheit. Ich bin absolut dabei beim Finden, kann genau beobachten, wie die drei sich musikalisch abtasten, wie sie ihren Sound bauen und ich finde sie einfach gut. Und immer besser.

Sie probieren, wagen sich, und sie achten aufeinander – prima! Sofort habe ich sie begriffen, die Grundidee einer „Open Stage“, das ganze Leben sollte so sein. Ich werde froh und möchte tanzen, die Band geht inzwischen profimäßig ab, als würden sie schon endlos lange zusammen spielen.

Musik-Seminare für Theorie und Praxis

Mein Begleiter, ein Eingeborener dieser Kunst- und Kulturinsel, informiert mich, dass diese offene Bühne ein langgehegtes Projekt ist, was in Zukunft nicht nur Probeübungen für Klarinette, Jazzophon, Gitarre, Percussion, sondern auch Lerninhalte in der Musiktheorie beinhalten soll.

Auch junge Schauspiel-Talente, Poetry Slam oder Akrobatik haben hier frei Bühne. Kürzlich war das Seminar für Harmonielehre im Angebot und ich registriere: sollte Notenlesen für Anfänger auf dem Plan stehen, melde ich mich sofort an.

Auftritt und Probe ohne Verpflichtung

Die kleine Band hat sich warm gespielt und macht den Eindruck als würden sie schon immer da oben auf der offenen Bühne ihr Ding abziehen. Da schwappt dieses Vertrauensverhältnis über in den Zuschauerraum – ein Mädel (bühnenreif gekleidet im aufregend schönen, langen Kleid) traut sich mit ihrem Saxophon dazu, jawoll – Beifall!

Wunderbar, sie wagt es, sie probiert sich aus, sie nutzt sie, diese Chance eines öffentlichen, kleinen Auftritts. Steht anfangs noch unsicher am Rand, wird aber schnell mitgenommen, dazu geholt, einbezogen in das Spiel der Band und zeigt ihr Können in mehrmaligen Soli, was alle Zuschauer honorieren und begeistert beklatschen.

Die nächste Akteurin dieses Nachmittags zeigt Bauch. Und sagt sofort an, worum es geht. Nämlich um Probe ohne Verpflichtung vor einem öffentlichen Auftritt. Sie ist noch nicht lange dabei, bei der Truppe der Bauchtänzerinnen und hat Bammel davor, sich öffentlich zu präsentieren. Deshalb steht sie nun hier. Im vollen Ornat des Tanzkostüms. Wir finden sie tapfer, machen Mut und versuchen, durch Beifall, die Aufregung weg zu klatschen.

Und dann legt sie los, sie ist herrlich, einfach klasse, das Mädel hat keinen Grund zur Sorge, ihr späterer Auftritt in der großen Öffentlichkeit wird ein voller Erfolg, alle sind begeistert und jubeln. Ich hüpfe von einem Bein aufs andere, kann nicht anders – bei so viel Musikalität.

Ein Nachmittags-Kulturprogramm gratis

Unglaublich, alles gratis und vom Feinsten. Leider sind die Stunden schon vorbei, die Band packt ein, der Lümmelbereich im Freien wird wieder in Beschlag genommen. (Was wir nicht wussten, die Open Stage ging noch mit Musik bis tief in die Nacht.)

Wir setzen uns noch einen Augenblick dazu und genießen diese stressfreie, freundschaftliche Atmosphäre. Doch die entspannte Generalhaltung täuscht: die vielen kreativen Ideen, wie die Arbeit mit Schulklassen, Seminare, Werkstätten, Bau sanitärer Einrichtungen oder Obdach für Handwerker auf Walz stoßen heftig an pekuniäre Grenzen.

Kultur ist kein Wirtschaftszweig

Und nein, Stolperstein ist nicht unbedingt das Bergener Stadtparlament, mit denen kämen sie ganz gut zurecht, ist zu vernehmen, nein, es ist eher ein Großinvestor, der den Elan, die Möglichkeiten und die Fähigkeiten dieser innovativen Truppe lähmt. Und er steht direkt vor der Tür. Während wir darüber sprechen, kann ich erkennen, wie bedrohlich diese Nachbarschaft ist.

Und da ist sie wieder, die ständige Auseinandersetzung zwischen Kunst, Kultur, Bildung und der Frage: „Was bringt es ein?! Wie lässt sich das rechnen?“. Ein Kampf, der starke Soldaten braucht. Ich kenne das.

Beim Verabschieden und dem Blick zurück auf blühende Hochbeete und freundlich-entspannte Atmosphäre fällt mir, warum auch immer, das Märchen vom Rotkäppchen und dem Wolf ein. Rotkäppchen hat gewonnen.

Ein Blick auf die Webseite vom Kunst- und Kulturverein La Grange e.V. lohnt sich übrigens auch: www.la-grange.de.