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Familiengeschichte: Der alte Pfau

Blogger 19. März 2018Juli 12th, 2018Familiengeschichte, Fundstücke, Inselgeschichte(n), Rügen-Blog

Lebenslauf meines Vaters: Werner Pfau

War einmal ein kleiner Junge, der hieß Werner, Werner Pfau.

Er wurde vor über 90 Jahren bei Danzig geboren, seine Mutter, die alte Pfau, war eine hellwache Person, die in Ermangelung kultureller Einrichtungen, noch dazu ständiger, geistiger Unterforderung, ganze Lexika auswendig lernte und einfach „über alles Bescheid wusste“, ohne je das Dorf verlassen zu haben.

Entdeckerreisen in Danzig

Ihren Sohn, ohnehin unternehmungslustig auf die Welt gekommen, schickte sie auf Entdeckerreisen, die er aber wahrscheinlich auch ohne ihr Zureden gemacht hätte.

So gehörten schon sehr früh Abenteuer zum alltäglichen Leben des kleinen Werners.

Werner wuchs bei seiner Tante in der Petersiliengasse in Danzig auf, zusammen mit einem kleinen schwarzen Spitz, mit dem er reichlich Dummheiten machte.

„Tante Duscha“, sagte der kleine hellblonde Werner, „du hast zwei Hündchen, ein schwarzes und ein weißes“, denn er schlief oft in der Hundehütte und zusammen gingen sie auf Leckerbissenjagd.

Ausbildung zum Tischler

Später wurde Werner Tischlerlehrling. Eine harte, aber richtungsweisende Zeit – denn die innige Beziehung zum Holz hat ihn nie wieder losgelassen.

Oft nannte man ihn den „Holzwurm“ und sein ganzes Leben lang wurde sämtlicher Ersatz zum 100%igen Gebrauch in Holz nachgearbeitet.

Ob Schuhsohlen, Messergriffe, Knöpfe, Segelmaste – einfach alles bestand aus Holz.

Und später, als es immer weniger zu reparieren gab, entwarf und arbeitete Werner Schmuck aus Holz, am liebsten aus Kirschholz, so individuell, wie er sich selber sah! Alles bekam erst den richtigen Chic, wenn der Holzwurm seine Hand angelegt hatte.

Oft haben wir uns gefragt, woher dieser einfache, klare Naturbursche den Sinn für sensible Feinheiten hergenommen hat, für Schönheiten, die wohl dem heimlichen Wunsch, der Suche nach dem Besonderen entsprochen haben.

Eine Begegnung, die alles veränderte

1936 begegneten sich Werner und Margarete, im Folgenden das Gretchen genannt, zum ersten Mal. Und eigentlich auch nur, weil der Werner  Gretchens Schwester hinterherschaute. Und so schmiedete das Leben zusammen, was augenscheinlich nicht zusammenpasste: der nordische, blonde Recke und das schmale, dunkle Mädchen.

Gemeinsam den Krieg überstehen

Kurz bevor Werner Pfau in den gerade ausgebrochenen Krieg musste, wurde im September 1939 noch fix geheiratet.

Die folgenden Jahre sind gekennzeichnet durch kollektiven Nahkampf im Schulterschluss.

Denn Grundlage für diese Ehe war das einzigartige Zusammenhalten, das gegenseitige Vertrauen und eine unverwüstliche Lebenskraft.

So entstand das Pfauennest.

Eine Familie, die im Grundinstinkt der Liebe aufwuchs und größer und größer wurde…

Familienjahre im Selliner Garten auf Rügen

Die schönsten Familienjahre spielten sich im großen Garten in Sellin auf der Insel Rügen ab.

Dort wurde für fünf Kinder eine Laube errichtet und alles, was eine Familie zur gesunden Ernährung brauchte, rundum angebaut.

Selbst der Abendbrottee konnte im Minze- und Melissenbeet vor der Tür gepflückt werden.

Wie überhaupt das ganze Wachsen und Gedeihen innerhalb der Familie von den umwerfend gesunden Methoden des homöopathischen Großvaters geprägt war:

Jahreszeitlich abgestimmt und selbstgesammelter Wald- und Wiesentee gehörte so selbstverständlich auf den Tisch wie Honig und Quark, und zwar in nicht handelsüblichen Größenordnungen!

Es mussten ja immer fünf Mäuler gestopft werden.

Bei aller Art von Erkrankungen wurde das alte Rezeptbuch vom Opa zu Rate gezogen, Globuli wurden in der Familie bereits verabreicht als die DDR noch gar nicht wusste, wie man das schreibt.

Und so war es für uns selbstverständlich, dass wir bei Spiel- und Sportverletzungen mit Arnica, bei Schnupfen mit Eupatorium, bei Fieber und Schmerz mit Belladonna u.a.m. geheilt wurden.

Lehrer Pfau und Reisen nach Osteuropa

Werner Pfau war inzwischen Lehrer geworden, sein immer waches Interesse am Wissen und mehr Kennenlernen („Besserwissen?!“) ließ ihn nicht ruhen.

Am liebsten unternahm er im Erdkundeunterricht „Landkartenreisen“ und am liebsten dorthin, wo sich nicht einmal mehr Hase und Fuchs Gute-Nacht sagten, in die Walachei.

So war es nicht verwunderlich, dass die erste mögliche Reise ohne Kinder per Zelt und Motorrad ins polnische Gebirge führte und später nach Bulgarien und Rumänien.

Je unzivilisierter, desto besser!

Auf diesen Reisen wurden Werner und Grete wieder das, was sie zusammengeführt hatte: Ein hart, aber herzlich – edel und stark – Entdeckerteam, was nicht bedeutet, dass die Interessen unbedingt gleich gelagert waren – die Reiseberichte zeugten vom ewigen Kampf der Geschlechter.

Das Gretchen liebte übrigens „Küchenlieder“ und Klaviermusik, was Werner veranlasste, zur Trompete zugreifen und Bach`schen Orgelkonzerten zu lauschen…

Lebensabend auf Mönchgut

Als der Herbst in Werners Leben einzog, feierte er mit seinem Gretchen und einer Riesenschar an Kindern, Enkeln und Urenkeln die Goldene Hochzeit. Beide waren fit wie zwei Turnschuhe und voller Lebensfreude.

Das Gretchen, als kommunikativer Teil der Eheverbindung, glühte so lange es ihr möglich war wie eine Rotlichtlampe im Pfauennest.

Bis zu seinem 8o-igsten Lebensjahr fuhr Werner Pfau Auto, stieg dann um auf sein altes Fahrrad, um von Göhren aus mit diesem „Schluchtensauser“ im 5 Kilometer entfernten Nachbarort Baabe sein Brot zu holen. Der Kater Schonga trat rechtzeitig in sein Leben, um – umgerechnet in Katerjahre – zeitgleich mit ihm alt zu werden.

90 Jahre alt wurde Werner mitten im Sommer, inmitten einer großen Familie und mitten auf Mönchgut.

Die Pferde und er selber waren ein ruhender Mittelpunkt, wie so oft in seinem Leben, in Momenten, die für andere ein Geheimnis blieben.

Und so bleiben die Gedanken an Erfahrungen, die nicht mehr mitgeteilt werden können, aber in der Seele weiterleben.

Was denkt Ihr? Schreibt es uns!