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Hasenbrot und Nachkriegszeit auf Rügen

Nicht nur in der Not schmeckt ein „Hasenbrot“

Nein, das ist keine Kreation unserer Insel-Bäcker auf Rügen, keine essbare Trainingsstrecke für extra starke Vorderzähne. Auch keine Ersatzvariante für die Hasenmöhre.

Wenngleich uns diesbezüglich nichts verblüffen würde, denn die Deutschen sind Weltmeister im Verzehr von ungezählten Erfindungen, die dann als „Brot“ im Backwaren-Regal landen. Geraspelte Möhre in Brot und Brötchen sind langweiliger Alltag.

Womit wir wieder beim Thema wären.

Nachkriegszeit auf Rügen – Aufgewachsen in den 50-ern

Bin ich – als eine Anfang der 50-er Jahre auf Rügen geborene – eigentlich noch Nachkriegskind? Wenn ja, gemerkt haben wir Kinder von dieser Aufbruchszeit nichts, vermisst noch weniger.

Ich hatte Puppen in allen Größen, eine Puppenstube, viele Märchen- und Bilderbücher, meine Brüder strapazierten etliche Fahrräder zu Tode. Und. Ich hatte genügend zu essen. Das mag daran gelegen haben, dass wir als Selbstversorger alles Nötige an Obst und Gemüse im Garten ernten konnten. Wenn ich Hunger hatte, sagte meine Mutter zu mir: „Such` dir was. Und es gab reichlich zu finden.“.

Seltene Spezialitäten

Extras allerdings waren rationiert. Mein Vater hatte meist eine Konfekt-Schachtel unter Verschluss, vermutlich die gesammelten Geschenke vom Lehrertag, aus der zu besonderen Anlässen ausgeteilt wurde. Meine Mutter hingegen hütete Bitterschokolade als ihr Eigen, aber, die wollte sowieso kein Anderer.

Meine Brüder verschanzten sich von Zeit zu Zeit in der Küche und „machten Bonbons“. Bei dieser Prozedur wurde Zucker in einer Pfanne mit ausgelassener Margarine karamellisiert, nach dem Abkühlen in Stücke gebrochen und krachend den Zähnen als Härtetest angeboten.

„Hasenbrot“?

Nein, auch das hatte immer noch nichts mit dem „Hasenbrot“ zu tun. Und vielleicht hätte ich auch alle vergangenen Geschichten zu diesem Thema längst vergessen, wenn ich nicht kürzlich neben einem alten Herrn gestanden hätte.

Neben ihm sein Sohn und die nächste Generation, der Enkel. Zu diesem Knaben beugte sich Opa herunter und sagte: „Wenn du Hunger hast, gebe ich dir gern mein Hasenbrot.“. Ich zuckte zusammen, und ja, da waren sie wieder, die alten Kamellen aus meiner Kinderzeit. Denn – wer kennt noch „Hasenbrot“?

Wie es früher auf Rügen war

Wie es früher auf Rügen war… Und das war so: In unserem Haushalt gab es, wie schon beschrieben, reichlich Obst und Gemüse. Darüber hinaus besorgte mein Vater jedes Jahr zum Sommerende Honig für die ganze Familie. Nein, nicht gläserweise, ein lächerliches Unterfangen. Für die ganze verfressene Brut wurde der Honig im Pappeimer geholt. Manchem wird dieser Verpackungsumfang aus DDR-Zeiten für Marmelade noch in Erinnerung sein.

Bei uns war es der Honig. Fester, hellgelber Raps-Blütenhonig. Dieser Eimer stand in freundlicher Nachbarschaft zu einem zweiten seiner Art, voll mit Magerquark.

Beide Eimer wurden die Quelle meiner Hauptnahrung. Übrigens bis heute. Für jede Quark-Honigmischung lasse ich alle lukullischen Raffinessen links liegen.

Darüber hinaus gab es Milchsuppen und Bratkartoffeln in Hülle und Fülle. Etwas Käse, aber niemals „Aufschnitt“. Die erste „Aufschnitt-Variante“ lernte ich 1961 durch den Besuch unserer Westverwandtschaft kennen, die brachten „Leberkäse“ mit. Was mir damals schon nicht geheuer war, und daran war nicht der Leberkäse schuld. Was denn nun? Leber? Käse? Die spinnen doch!

Die einzige Wurst in unserem Haushalt hing oben an der Seite vom Küchenschrank und war ausschließlich für die „Fahrschüler“ gedacht, zu denen auch mein Vater gehörte, der täglich als Lehrer mit dem Bus nach Bergen auf Rügen musste. Meine Geschwister fuhren ebenso mit dem Bus zur Schule oder Lehrausbildung.

Diese „Fahrschüler“ bekamen immer Klappstullen als Tagesration mit auf den Weg und dafür eignete sich weder Honig noch Quark. Aber die Wurst, die Einzige. Und da hing nun dieses privilegierte „Teil“ (Fleischstück) in unerreichbarer Höhe und konnte von uns „Kleinen“ nur beäugt werden.

Zum Thema „Hasenbrot“ – Klappstulle mit Wurst

Ja, lange Vorrede zum Thema „Hasenbrot“. Musste aber sein, um schließlich den Wert dieser Spezialität verstehen zu können. Denn, wenn mein Vater nachmittags vom Bus kam, lungerten wir Kleinen bereits im Flur herum und erwarteten ihn ungeduldig: „Ob noch Wurstbrote vom Morgen in der Tasche wären?“.

Und ob! Mein Vater hatte immer ein Stück Klappstulle übriggelassen, was für uns die reine Delikatesse war. Hasenbrot, leicht angetrocknet und mit hartem Rand, schön durchgezogene Salamischeiben in geschmolzener Butter. Einfach herrlich. Was haben wir dieses Stück Wurstbrot genossen!

Meine Mutter schimpfte pro forma, weil der Vater „wieder nicht alles aufgegessen hatte“, dabei wusste sie genau, dass er extra für uns ein Hasenbrot übrig gelassen hatte.

Vergeudung von Nahrungsmitteln

Das alles ist nur paar Jahrzehnte her. Und doch, wie grundsätzlich haben sich die Lebensmittelindustrie auf der einen Seite und die Einstellung der Menschen zu Lebensmitteln andererseits geändert.

Wenn ich die überfüllten Regale in den Supermärkten sehe, wird mir übel. Wenn ich daran denke, wie viel Nahrungsmittel täglich sinnlos vergeudet werden, möchte ich heulen.

Aber wenn ich mir dann die Heerscharen der perversen Feinschmecker betrachte, übergewichtige, herz-kreislauferkrankte Diabetiker und ihren pastösen Nachwuchs, dann, so seltsam es klingen mag, fühle ich eine Art Gerechtigkeit. Und die Gewissheit, dass unser Leben in logischen Bahnen verläuft.

Alles hängt mit allem zusammen. Bleiben wir achtsam für diese Gesetzmäßigkeiten, die nicht im Bundestag beschlossen werden, bleiben wir achtsam für uns.

In diesem Sinne wünsche ich Allen den wackeren Mut zum Durchhalten und Ändern, der bereits Ferdinand Freiligrath, Wolf Biermann und Hannes Wader zu einem lauten „Trotz alledem“ veranlasste. Ich weiß, wir können es. Wir schaffen das.