Morgenstund hat Gold im Mund
„Nu häw ick`t int Muul, nu find ick noch mier!“, sagt ein altbekanntes Sprichwort. Und manchmal hat es recht. Ausgerechnet mir sollte es passieren, dass mich der frühe Morgen mit dem Gold der Ostsee, mit einem Bernstein, beschenkte. Das erzähle ich gleich.
Sandaufspülungsarbeiten in der Lobber Bucht
Aber vorher ist wichtig zu wissen, dass seit Wochen an unserem Südstrand in Göhren eine massive Strandaufspülung voranging.
Der expliziert gefährdete Strandabschnitt zwischen Reha-Klinik und dem Aufgangsbereich in die Ortsmitte von Göhren, diese besonders strapazierte Dünenkehle in der Lobber Bucht, sollte saniert werden.
Herbst- und Frühjahrsstürme hatten zu mächtigen Dünenabbrüchen geführt, hohe und schroffe Küstenkanten präsentierten sich wie Narben im Schutzbereich der Düne. Der Strand war kaum noch zu begehen und machte einen wild-gefährlichen Eindruck, das Meer hatte sich weit in die Ufer hineingefressen und ausgespült, was es nur mitnehmen konnte.
Mit Fernglas unterwegs
Von den Erhebungen des Göhrener Hövts konnten wir genau beobachten, wie die Arbeiten weit draußen auf und in den Tiefen der Ostsee abliefen, wie die Arbeitsvorgänge organisiert wurden. Selbst nachts wurde unter Flutlicht gearbeitet, was unserem traulichen Südstrand einen exotischen Ausdruck verlieh.
Interessant war es, die Schiffe auszumachen, die den Sand aus der Wassertiefe ansogen, weitertransportierten, wie er am Ufer „ausgespuckt“ und als nagelneuer Strand flach planiert wurde.
„Die Steine selbst, so schwer sie sind…“
Respektvoll standen wir auf der angrenzenden Uferböschung und konnten erleben, mit welcher Gewalt die Wasser-Sandmassen vor unseren Füssen vorbeigurgelten, rauschten, regelrecht tobten. Und wie selbst größere Steine mühelos mitgerissen und meterweit transportiert wurden.
Achtung – Bernstein!
Was uns allerdings überhaupt nicht in den Sinn kam, sich aber als Sensationsmeldung in Windeseile in ganz Göhren und unter allen Bernsteinfischern verbreitete, war die Kunde, dass auch das Gold der Ostsee, der Bernstein, bei diesen Arbeitsvorgängen mit an die Oberfläche und im günstigsten Falle, bis an Land gespült wurde.
„Man braucht nur noch zu zugreifen“, hörte ich sie sagen!
Und da mich unsere frühlingswilde Ströperkatze bereits zum ersten Hahnenschrei geweckt hatte und nachdrücklich Ausgang verlangte, war es ohnehin mit der Schlaferei vorbei. Ein Blick auf die Uhr: 5.30 Uhr – perfekt. Ab an den Göhrener Südstrand.
Organisierter Einsatz der Bernsteinfischer
Was für ein herrlicher, sonniger, kalter Morgen. Ich und mein Fahrrad ganz alleine unterwegs, kein Mensch zu sehen – bis ich am Südstrand angelangt war. Dort war Halligalli.
Mein triumphales Frühaufstehergefühl war wie fortgeweht, als ich sie sah: grüppchenweise knieten, wateten, standen in Gummistiefel die Bernsteinfischer im strömenden Wasser der Anspülung und hatten nichts weiter im Blick, als den Bernstein… Bernstein! Und tatsächlich kam er geschwommen, als hätte ihn Neptun ausgesät.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Wer Kescher oder Sieb bereithielt, der wurde sofort belohnt. Hätte ich es nicht selber gesehen, ich wollte es nicht glauben!
Da kam er, der dicke gelbe Klumpen, wie ein Stück Käse – und schon hielt der Bernsteinfischer seinen Kescher parat und – hastenichtgesehen – war dieses herrliche Stück Bernstein seins.
Ich will mal ehrlich sein, auch bei mir erwachte eine Art Finderehrgeiz, nun wollte ich auch, aber, das war nicht so einfach, hier spürte ich eine gewisse Klondike-Atmosphäre und so pirschte ich mich vorsichtig ran mit der scheinheiligen Frage: „Findet ihr tatsächlich so viel Bernstein?“.
Mit blödsinnigen Fragestellern geht man auch hier am Südstrand nachsichtig um, bereitwillig zeigten mir die Bernsteinfinder ihre Schätze. „Nur gucken – nicht anfassen!“, wurde mir klar, denn dieser Suchtrupp war eine eingeschworene Gemeinschaft. Aber, was hatten sie für wunderschöne Bernstein-Stücke gefischt, meine Bewunderung war aufrichtig.
Glückliche Finder
„Und ich habe noch nie in meinem Leben einen Bernstein gefunden“, versuchte ich meine Anwesenheit günstig zu beleuchten, was mitleidsvoll registriert wurde und ich durfte wenigstens „puhlen“ gehen, am Spühlsaumrand, im Schlick.
Und – ich fasse es bis heute nicht – wie ich da noch so stehe, in Gänze ein Laie und völlig ahnungslos, da schwappt eine Spülsandwelle zärtlich über meine Schuhspitze und legt mir ein rotblondes, glitzerndes Stückchen Bernstein vor die Nase.
„Guck mal“, sage ich zur nächststehenden Klondike-Fischerin, „ich habe gerade den ersten Bernstein in meinem Leben gefunden.“. Der fiel fast der Kescher aus der Hand: „Kann ja wohl nicht wahr sein, kaum hier und dann findet die gleich was – und nicht mal so ‘n Kleinen.“.
Ich begriff, dass ich ihr gesundes Gefühl für Unrecht nicht länger strapazieren sollte. Meine Mission war erfüllt: einen herrlichen Sonnenmorgen am Strand erlebt, direkt mittenmang der Aufspülungsarbeiten die Bernsteinfischer beobachten zu dürfen und dabei einen Bernstein gefunden – den Schönsten, den mir die Ostsee schenken konnte.
Versteht sich von selbst, dass der Rückweg per Fahrrad singend und vom Glück beseelt Flügel hatte.
Bernstein erkennen: „Nu häw ick`t int Muul“
Und was die Überschrift in Plattdeutsch angeht, so ist dies auch eine uralte Inselweisheit, denn sie beschreibt den sogenannten Klappertest an den Zähnen: um sofort Bernstein vom üblichen Strandstein unterscheiden zu können, muss man das betreffende Stück nur kurz an die Zähne puckern lassen, edler Bernstein klappert nämlich gar nicht, das harzige Material ist zu weich dafür.