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„Wo Schatten ist, ist auch Licht“

„Wo Schatten ist, ist auch Licht“. Eine Binsenweisheit? Ein Stück Logik der Naturgesetze? Ein Allerweltspruch? Na, kennt doch jedes Kind. Und doch ist diese Weisheit nicht so einfach auszuleben, denn das Glück des Sonnenlichtes ist die Leichtigkeit des Seins.

Wer aber im Schatten steht, hat es weitaus schwerer, den Lichtstrahl am Ende des Tunnels zu erkennen. Und wer es nicht schwer hat, der kann sich immer noch im Meckern üben und sich der allgemeinen Empörer-Bewegung anschließen.

Beides kommt für mich nicht in Frage. Aber, dass selbst in Göhren, nachdem wochenlang über die Schattenseite des Ortes berichtet wurde, auch Lichter erstrahlen, das konnte ich erleben und darüber möchte ich berichten.

Kirche Göhren

Unsere Kirche in Göhren ist verhältnismäßig jung. Sie wurde am 16. Mai 1930 feierlich eingeweiht und ist in keiner Weise ein Vergleich zu den altehrwürdigen Dorfkirchen auf Mönchgut, mitnichten, alles an ihr ist anders.

Schon die hohe, trutzige, burgähnliche Eingangsfront lässt verwundert aufschauen: zwei mächtige Zinnen schmücken diesen Turm, der weithin übers Land sichtbar ist.

Kein Wunder, wurde die Kirche doch auf dem Areal des „Speckbusches“ und in unmittelbarer Nähe eines urgeschichtlichen Hünengrabes errichtet.

Von dieser Stelle aus hat der Wanderer einen wunderschönen Blick über das Mönchguter Land und kann, wenn es das Wetter zulässt, einen unvergesslichen Sonnenuntergang erleben.

Kleiner Kirchenrundgang

Als erstes fällt der Altar ins Blickfeld. Keine goldenen Engel, sondern zwei hohe Holzfiguren in Mönchguter Tracht stehen unter dem Kreuz und präsentieren die alte Mönchsregel „ora et labora“ (bete und arbeite): sie hält das Gesangsbuch in der Hand, er, der Fischer-Bauer, sein Handwerkszeug, das Netz. Beide stehen im schönen Licht, das durch die farbigen Fenster im Altarraum fällt.

Keine Rippenbögen schmücken die Decke, sondern eine einfache Kassettendecke aus Holz unterstreicht die klare, klassische Konstruktion des Kirchenraumes.

An der Brüstung zur Empore ist ein „Alfred-Jensen“ zu bewundern, ein imposantes Gemälde, ein Seestück im Sturm, wie es zu Land und Menschen passt. Und – nicht zu vergessen – auch das Votivschiff zeigt sich in seiner Pracht, die Bark „Seeadler“, 1913 von einem Göhrener gebaut, wurde 1935 der Kirche als Geschenk übergeben.

Neue Treppen braucht das Volk

Im Inneren der Kirche ist, das kann man so sagen, alles chic. Wenn die Kirchgänger erst drinnen sind, ist alles gut. Doch bevor sie diesen beschützenden Raum erreichen, müssen sie eine breite Treppenanlage überwinden, deren Stufen sehr an Trittsicherheit zu wünschen übrig ließen. Nichts an der Kirche wurde in den Jahren seit 1930 derart strapaziert, wie jede dieser Eingangsstufen.

Und da die Mehrzahl der Kirchgänger in hochbetagten Jahren ist, wurde der marode Treppenzustand zu einem Problem. Da stand nicht nur viel Arbeit im Raum, sondern auch die Gewissheit um erhebliche Kosten vor der Tür.

Wer weiß, wie viel Gebete und Bittgesuche unser Pastor an seinen großen Chef geschickt hat, eins aber muss gezündet haben. Denn als es hieß, dass auch Fördermittel genehmigt werden, bekam das Vorhaben „Sanierung der Kirchentreppen“ einen deutlich realistischen und planbaren Umfang.

Und da mein Mann mit der Planung und Organisation der Arbeiten im Gesamtumfang betreut wurde, hatte ich über einen Zeitraum von fast 5 Monaten die Gelegenheit, die einzelnen Bauetappen mit verfolgen zu können.

Sanierung unter Auflage der Denkmalpflege

Die Außentreppenanlagen wiesen erhebliche Schäden durch Frostaufbrüche, Risse und Absenkungen auf. Die Steine waren ungleichmäßig abgeplatzt, die Pflasterfugen teilweise offen, die gesamten Treppen verformt und jenseits jeder Verkehrssicherheit.

Dieser rotbraune Klinkerstein und das filigrane eiserne Geländer an den Seiten der Treppenwangen stammten noch aus der Erbauungszeit der Kirche in den Jahren 1929/30. Das Alles galt es, so detailgetreu „wie früher“ und technisch so perfekt, wie jeder öffentliche Neubau wieder herzustellen.

Solides Handwerk zahlt sich aus

Und so wurde ein Team erfahrener Handwerksmeister, solide Gewerke, bewährte Firmen zusammengestellt, die über Abbruch-, Erd- und Betonarbeiten, über Schlosser- und Elektroleistungen bis zum guten Ende, der Pflasterung des Podestes an der Seitentreppe Hand in Hand ein Meisterwerk an unserer Göhrener Kirche präsentierten.

Für Treppenbelag und Treppenwangen wurde ein hochwertiger Pflasterklinker mit ähnlicher Farbe und Oberfläche, wie der alte ausgewählt und eingebaut. Das alte Stufenmaß wurde wieder hergestellt.

Die eisernen Geländer wurden sorgfältig demontiert, sandgestrahlt und feuerverzinkt.

Die beiden, in den Geländern integrierten Laternen wurden gleichermaßen aufgearbeitet. Dabei stellte sich heraus, dass die bisherigen Laternenaufsätze mitnichten die Ursprünglichen sind und – welch Wunder – die alten Laternen von 1930 noch existierten.

So hatte man jetzt ein „Muster“ und konnte die Beleuchtung originalgetreu wieder herstellen. Sie sind ein echtes Schmuckstück geworden, diese neuen, alten Lampen, mit ihren schönen, klaren Linien der Kunst um 1930.

Zugeschaut und dazu gelernt

Ein besonderes Erlebnis war für mich zu beobachten, wie die Einbohrungen für die Pfosten und Stäbe des Geländers organisiert wurden. Wie eine „Schablone“ hatten die Handwerker eine Bohrlehre angefertigt, damit der Bohrvorgang den Stein nicht zum Platzen bringt.

Und als die Bohrungen, ständig unter Wasserkühlung und mit absolutem Fingerspitzengefühl flott ausgeführt wurden, konnte ich mein Staunen nicht mehr verbergen.

„Ja, Handwerk ist interessant.“, sagte der „Bohrmeister“ grinsend. Der wusste sehr wohl, was er konnte.

Schöner Abfall

Die Bohrkerne lagen auf einem Haufen, wie Spielsteine. Jeder ein Unikat und wunderschön anzusehen.

Am liebsten hätte ich sie alle mitgenommen, aber unser Pastor war schneller. Dem gefielen diese schönen, runden, farbigen Steinrollen auch. Schnell hatte er sie eingepackt und meinte: „Mir fällt dazu ganz sicher etwas ein.“. Worauf man sich bei diesem Pastor verlassen kann.

Dankende Erinnerung in Stein

Denn, als der Dankesgottesdienst abgehalten wurde, da holte er sie vor, die Bohrkerne, datiert und beschriftet. Und drückte sie Jedem, dem er danken wollte, so ein kleines rundes Stück in die Hand. Haben sie nicht schlecht gestaunt, die Beschenkten!

Es ward Licht

Und ich habe dann abends, beim Abschließen der Kirchentür, einfach mal aufs Knöpfchen gedrückt, ich konnte nicht anders, und siehe da… es ward Licht. Die schönen alten, neu aufgearbeiteten Laternen an den Treppenwangen erstrahlen in einem so warmen, angenehmen und freundlichem Licht, dass der Betrachter gar nicht anders kann, als zu lächeln.

Wie wunderschön doch unsere Kirche aussieht, wenn sie in diesem Licht steht. Möge dieses Licht und das freundliche Lächeln in Göhren doch bleiben. Und sollte es fehlen, und sollte Bedarf bestehen, dann bin ich ganz fix an der Kirche und… und drücke wieder das besagte „Knöpfchen“. Versprochen.